Schatten des Wolfes - Schatten des Wolfes - Cry Wolf (Alpha & Omega 1)
selbst uns gewählt,
ist, worum wir Gott bitten, ist, was im Leben zählt.«
Als sein Vater die zweite Strophe abschloss, erkannte Charles, dass das Lied auch zu Bran passte. Er war ein subtiler Mann, aber seine Bedürfnisse und Wünsche waren sehr schlicht: seine Leute am Leben und in Sicherheit
zu wissen. Für dieses Ziel war er bereit, auch unendlich gnadenlos vorzugehen.
Er warf einen Blick zu Anna, die allein auf der Bank saß. Sie hatte die Augen geschlossen und formte lautlos die Worte mit. Er fragte sich, wie sie wohl klang, wenn sie sang - und ob ihre Stimme zu seiner passen würde. Er war nicht vollkommen sicher, ob sie überhaupt sang, aber sie hatte ihm gesagt, dass sie in einer Musikalienhandlung gearbeitet und Gitarren verkauft hatte, als sie den Wolf kennenlernte, der sie angegriffen und gegen ihren Willen verändert hatte.
Sie öffnete die Augen und sah ihn an. Dieser Blick hatte solche Wucht, dass er darüber staunte, als seine Finger ohne Unterbrechung weiterspielten.
Sie gehörte ihm.
Wenn sie wüsste, wie intensiv er empfand, würde sie wohl wegrennen. Er war nicht daran gewöhnt, besitzergreifend zu sein, oder an die wilde Freude, die sie seinem Herzen brachte. All das nagte an seiner Beherrschung, also wandte er die Aufmerksamkeit wieder der Musik zu. Musik verstand er.
Anna musste sich zusammennehmen, damit sie nicht mitsummte. Wenn die Gemeinde nur aus Menschen bestünde, hätte sie das getan. Aber sie war von zu vielen Leuten umgeben, deren Gehör ebenso gut war wie ihr eigenes.
Eines der Dinge, die sie wirklich gehasst hatte, als sie ein Werwolf geworden war, bestand darin, so viele ihrer Lieblingsmusiker aufgeben zu müssen. Ihre Ohren hörten nun auch die geringste Abweichung in der Tonhöhe und jede Unklarheit in der Aufnahme. Aber die wenigen Sänger, die sie noch hören konnte...
Brans Stimme war sauber und traf exakt die Töne, aber es war das Timbre, das ihr die Nackenhaare in ehrfürchtiger Erwartung sträubte.
Als er den letzten Ton sang, beugte sich der Mann, der auf der Bank hinter ihr saß, nach vorn, bis sein Mund beinahe ihren Nacken berührte.
»Charles hat sich also ein Spielzeug heimgebracht, wie? Ich frage mich, ob er es mit uns teilen wird.« Die Stimme hatte einen leichten Akzent.
Sie rutschte so weit auf der Bank nach vorn, wie sie konnte, und starrte Charles weiterhin an, aber er schloss gerade den Deckel des Klaviers und hatte den Rücken zu ihr.
»Und dann lässt er dich allein wie ein Lamm unter Wölfen«, murmelte der Wolf. »Jemand, der so weich und zart ist, wäre bei einem anderen Mann besser aufgehoben. Jemand, der gerne berührt werden möchte.« Er legte die Hände auf ihre Schultern und versuchte, ihren Rücken auf sich zuzuziehen.
Anna riss sich aus seinem Griff und vergaß den Beisetzungsgottesdienst und die Gemeinde. Sie hatte genug davon, sich noch von anderen berühren zu lassen. Sie kam auf die Beine und fuhr herum, um den Werwolf anzustarren, der sich auf seiner Bank zurückgelehnt hatte und sie anlächelte. Die Leute, die zu beiden Seiten von ihm saßen, rutschten weg, um ihm so viel Raum zu geben, wie sie konnten - das war eine bessere Beurteilung dessen, was er war, als die unbeschwerte Biegung seiner Lippen.
Anna musste zugeben, dass er wirklich gut aussah. Er hatte ein feines, elegantes Gesicht, und seine Haut war wie die von Charles, Teakholz und Sonnenlicht. Seine Nase und die schwarzen Augen sagten Mittlerer Osten, aber
sein Akzent war rein spanisch gewesen - sie hatte ein gutes Ohr für Akzente.
Er sah so alt aus wie sie, drei- oder vierundzwanzig, aber aus irgendeinem Grund war sie vollkommen sicher, dass er sehr, sehr alt war. Und er hatte eine Spur von Wildheit, von einer Krankheit an sich, die sie argwöhnisch machte.
»Lass sie in Ruhe, Asil«, sagte Charles, und seine Hände legten sich auf ihre Schultern, wo vorher die des anderen Mannes gewesen waren. »Sie wird dir die Eingeweide herausreißen und dich den Krähen überlassen, wenn du sie belästigst.«
Sie lehnte sich zurück gegen Charles’ Wärme, mehr als ein wenig überrascht, dass er Recht hatte - oder zumindest, dass ihre erste Reaktion nicht Angst gewesen war, sondern Zorn.
Der andere Wolf lachte, und seine Schultern zuckten. »Gut«, sagte er. »Gut. Irgendwer sollte das wirklich tun.« Dann verschwand plötzlich die Heiterkeit aus seinem Gesicht, und er rieb es müde. »Es ist nicht mehr lange jetzt.« Er schaute an Anna und Charles vorbei. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher