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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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das?«, fragte Emanuel, während er es öffnete.
    »Ein Junge hat es abgegeben. Er hat gesagt, für den Mönch, der bei Euch wohnt. Ihr seid der einzige Mönch hier.«
    Emanuel überflog die akkurate Schrift, und seine Brauen zogen sich nachdenklich zusammen. Dann sah er das Mädchen an, das ihn gleichmütig anstarrte. »Ist gut, du kannst gehen«, sagte er und wedelte ungeduldig mit der Hand.
    Emanuel las noch einmal den Brief mit den zwei kurzen Zeilen. »Komme nach der Frühmette zum Altar von St. Stephan. Ich habe, was du suchst.«
    Unschlüssig wendete Emanuel die Nachricht hin und her. Wer wusste, was er suchte? Wer wusste überhaupt, dass er etwas suchte? Wer wusste, dass er in Mainz war? Konnte Bruder Bernardo die Nachricht geschickt haben? Oder Abt Hermann aus Altenberg? Womöglich gar Bischof Hengebach? Nein, das Schreiben war nur zusammengefaltet. Dennoch gab es ihm Rätsel auf.
    Er fragte sich, ob er Octavien einweihen sollte, und kam zu dem Entschluss, ihm nichts zu sagen. Wer auch immer den Brief geschrieben hatte, der wollte allein mit ihm reden, ohne Zeugen, deshalb dieser verschwiegene Ort. Um diese Zeit schlief Octavien sicher noch. Emanuel würde ihm eine Nachricht da lassen, dass er an der Frühmette teilnehmen wolle.
    Octavien schlief tatsächlich noch tief und fest, als Emanuel sich am nächsten Morgen auf den Weg nach St. Stephan begab. Er war ein wenig zu früh dran. Die Neugier hatte ihn vorangetrieben.
    Langsam belebten sich die Gassen. Emanuel schritt gleichmäßig aus, das Haupt unter einer Kapuze, die Hände in den Ärmeln seines Habits verborgen. Niemand schien ihn zu beachten. Vor der Kirchentür schliefen einige Bettler. Emanuel schlenderte an der Kirchenmauer entlang, um nicht in deren Ausdünstungen das Ende der Frühmette abwarten zu müssen. Als die Leute aus der Kirche strömten, erwachten die Bettler plötzlich aus ihrem Tiefschlaf und streckten ihre ausgemergelten Arme aus.
    Trotz seiner Ungeduld wartete Emanuel noch eine geraume Weile, denn er wollte sichergehen, dass der Kirchenraum leer war. Schließlich glitt er rasch an den Bettlern vorbei, die nach dem Ansturm der Gläubigen wieder in Lethargie verfallen waren. Ihn ließen sie in Ruhe, von Mönchen war nichts zu erwarten, das wussten sie.
    Emanuel ließ seine Blicke durch das im Halbdämmer liegende Kirchenschiff wandern. Ein Kirchendiener war noch damit beschäftigt, die Spuren der Frühmette zu beseitigen. Emanuel kniete in einer Nische nieder, bis der Mann aus einer Seitentür verschwand. Dann war er allein. Wenn der Briefschreiber sich hier aufhielt, so verbarg er sich geschickt. Emanuel näherte sich dem Altar, wo der Unbekannte ihn treffen wollte, und umkreiste ihn vorsichtig. Ein im Dunkeln schwankender Vorhang fiel ihm auf, wahrscheinlich befand sich dahinter die Tür zur Sakristei. Verbarg sich der Unbekannte dahinter? Wenn ja, weshalb zeigte er sich jetzt nicht?
    Emanuel hielt den Atem an, um zu lauschen. Tatsächlich vernahm er hinter dem Vorhang ein schnelles, leises Luftholen. Er legte die Rechte auf den Griff seines Dolches. Obwohl ihm das Herz plötzlich wie ein Hammer in der Brust schlug, gab ihm diese Berührung Sicherheit. Er war kein ungeübter Kämpfer. Mönche, die über Land zogen, mussten wehrhaft sein. Nur gegen einen guten Schwertkämpfer hätte er nichts ausrichten können.
    »Komm heraus! Ich höre dich!«, befahl er mit rauer Stimme.
    »Nein, nein, komm du zu mir!«, kam die Antwort. Es war eine Frauenstimme. Emanuel stellten sich die Nackenhaare auf. Wer trieb hier seine Possen mit ihm? Was suchte eine Frau hinter dem Lettner? Kurz entschlossen riss er den Vorhang beiseite. Und erstarrte. Vor ihm stand die leibhaftige Versuchung. Satan hatte die Gestalt einer splitternackten und wunderschönen Frau angenommen. Kupferfarbenes Haar ringelte sich über ihre apfelgroßen Brüste, ihr Schoß verschwand im Schatten unterhalb ihres flachen Bauches. Er kannte diese Frau. Es war die verfluchte Lilith vom Stadttor.
    Bevor Emanuel die Schrecksekunde überwunden hatte, glitt sie rasch an ihm vorüber und schloss hastig den Vorhang. »So stürmisch müsst Ihr nicht gleich sein, soll uns etwa jeder sehen können?«
    Emanuel öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber es kam kein Ton heraus. Der Vorhang ließ kaum noch Licht in die winzige Nische vor der Tür zur Sakristei. Die Frau war ihm so nah, dass sie seinen Habit berührte. Sie verströmte einen Geruch nach Veilchen. Er konnte ihr nicht ausweichen, es

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