Schatten eines Gottes (German Edition)
ein, nicht wahr? Wenn es sich erst in euren Händen befindet, wer weiß denn, was damit angestellt wird?«
»Ich werde es dem Erzbischof von Köln übergeben.«
Octavien lag ein scharfer Einwand auf der Zunge, aber die Klugheit ließ ihn schweigen. Wenn sie sich vor Monthelon um das Pergament stritten, würde dieser stumm bleiben wie ein Fisch.
Monthelon wiegte den Kopf. »Dietrich von Hengebach? Das Pergament würde einmal mehr in unzugänglichen Archiven verschwinden.«
»Ihr habt recht«, fiel Octavien ein. »Ich hingegen werde es unserem Großmeister aushändigen. Er ist ein gewissenhafter Mann und wird die richtige Entscheidung treffen. Aber selbstverständlich könnt Ihr uns auch begleiten.«
»Oh nein, ich will mit derart gefährlichen Sachen nichts mehr zu tun haben. Tatsächlich habe ich lange überlegt, ob jemand sich auf die Suche machen sollte, jemand, der fähig dazu ist und dessen würdig. Ich habe das Für und Wider abgewogen. Vielleicht ist die Zeit reif, vielleicht seid ihr mir von Gott geschickt, wer weiß?«
»Heißt das, Ihr werdet uns das Versteck verraten?«
»Geduld. Vorher möchte ich euch etwas zeigen.«
Er erhob sich und ging zu dem silbernen Globus. »Kommt nur näher und schaut.«
Octavien berührte ihn, er begann, sanft in seiner schräg aufgehängten Achse zu schwingen. »Ihr müsst ihn drehen, Octavien. Wenn die Erde sich einmal um sich selbst gedreht hat, sind ein Tag und eine Nacht vergangen.«
Emanuel erkannte, dass die Umrisse von Europa und ein Teil von Afrika und Asien in die silberne Oberfläche eingraviert waren. Es war meisterliche Handwerkskunst. So etwas schufen die Teufelsanbeter? Nun ja, vermutlich mit Satans Hilfe. Er hätte gern mehr darüber erfahren, doch er wollte sich keine Blöße geben. »Wozu wollt Ihr uns das zeigen? Ich beschäftige mich nicht mit heidnischem Aberglauben«, sagte er. Gleichzeitig reute ihn dieser Satz. Er wusste, nur dumme Menschen setzten das Strahlende herab, weil sie selbst nicht leuchteten. Und dies hier war ganz eindeutig etwas Großartiges, ganz gleich, ob die Erde nun rund oder flach war.
»Weil diese Vorrichtung eine neue Zeit repräsentiert. Und nur, wer eine Ahnung von ihr hat, wird auch das Pergament verstehen.«
»Dann wisst Ihr doch über seinen Inhalt Bescheid?«
»Nein, aber wer sich vor ihm fürchtet wie Hugo de Payens vor hundert Jahren, der kann nicht aufbrechen zu neuen geistigen Ufern. – Und nun passt auf.«
Er entnahm einem Leuchter eine brennende Kerze und stellte sie auf ein Regal. »Jetzt fällt ihr Licht auf den Globus. Dreht ihn, Octavien. Seht Ihr, wie der Schatten langsam über die Länder wandert, wie es Tag und Nacht wird?«
»Ein Gedankenfehler«, warf Emanuel triumphierend ein. »Die Kerze steht fest, die Sonne aber dreht sich um die Erde.«
»Gewiss. Wenn es nach den Kirchenvätern geht, die vom Sternenhimmel so viel verstehen wie eine Kuh vom Stundengebet. In Wahrheit steht die Sonne fest und die Erde dreht sich um sie.«
»Blasphemie. Josua befahl der Sonne stille zu stehen …« Emanuel verstummte jäh. Eine innere Stimme sagte ihm, dass de Monthelon recht hatte, und ihn fröstelte. Solche Behauptungen stellten alles infrage, zogen ihm den Boden unter den Füßen weg. Wie lange konnte sich die Kirche noch halten, wenn sie in einer riesigen Lügenblase schwamm? Wann würde sie zerplatzen? Stand die Wahrheit vielleicht in dem Pergament? Nein, die Sache mit der Sonne konnte nicht drinstehen, zur Zeit von Herodes hatte es den Islam noch nicht gegeben. Zu jener Zeit hatte das Römische Weltreich bestanden.
Vor Emanuel türmten sich plötzlich Gedankengebirge auf, die ihn erschauern ließen. Er sah das Gebäude der katholischen Kirche zusammenbrechen unter dem Ansturm der Weisheit aus dem Orient. Lüge oder Wahrheit, auf jeden Fall war das, was sie zu bieten hatten, bestechender.
»Ihr seid also immer noch entschlossen, das Pergament zu suchen?«, unterbrach de Monthelon seine Gedanken.
Emanuel versuchte sich zu sammeln. »Ja. Ich habe gar keine andere Wahl. Ich arbeite im Auftrag des Kölner Erzbischofs, und er hat mich noch nicht von dieser Aufgabe entbunden.«
De Monthelon nickte. »Gut, dann will ich es Euch sagen. Natürlich gibt es keinen Hinweis im Tagebuch. Aber ich habe eigene Nachforschungen angestellt und Folgendes erfahren.«
Er wandte sich ab und spazierte langsam durch den Raum. »Gottfried von Saint-Omer, einer der Gründer und ihr erster Großmeister, hatte einen Sohn, sein
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