Schatten eines Gottes (German Edition)
hätten zuvor nachsehen sollen, ob sich dort oben noch weitere Männer befinden. Kampferprobte Männer, die sich nicht allein auf den Fluch verlassen wollen.«
Octavien nickte mürrisch. Emanuel hatte recht, daran hatte er nicht gedacht. »Hoffen wir, dass Ihr Euch irrt. Was meint Ihr, werden wir in den Gräbern etwas finden?«
»Der Alte ist ein Fuchs. Mal redet er so, mal so. Aber was er wirklich im Schilde führt, ist mir noch nicht klar. Mir schien es fast, als sei seine Bestürzung reichlich theatralisch gewesen, so als wolle er, dass wir hier graben.«
»Damit wir die Suche nach dem Pergament aufgeben, das sich ganz woanders befindet«, ergänzte Octavien.
Emanuel nickte. Da erschien der Wächter mit einer Schaufel, er war allein. »Erlaubt mir, dass ich mich in meine Kammer zurückziehe. Ich weiche der Gewalt, aber ich kann und will nicht Zeuge dieser Entweihung werden.«
Mit diesen Worten reichte er Octavien die Schaufel.
»Du wohnst allein da oben?«
»Wer sollte mein elendes Schicksal wohl teilen, diese verfluchte Burg zu bewachen?«
Octavien furchte die Stirn. »Wenn ich jetzt mit dir hinaufgehe und finde jemanden, dann schwöre ich dir, wird sein Tod nicht leicht sein und deiner auch nicht.«
»Begleitet mich, Herr Ritter. Ihr werdet sehen, ich habe die Wahrheit gesagt.«
Octavien nickte. »Schon gut, ich will dir glauben.«
Wenn er mit dem Mann hinaufging, überlegte er, und es lauerte jemand dort oben, dann hätte er auf der engen Stiege leichtes Spiel mit ihm. Es war besser, von diesem Platz aus den Eingang im Auge zu behalten. Nachdem der Alte im Turm verschwunden war, hielt Octavien Emanuel die Schaufel hin. »Ihr grabt, ich wache.«
»Oh nein, umgekehrt, mein Freund. Ihr grabt, und ich wache.«
»Ein Saint-Amand wühlt nicht in der Erde wie ein Bauer auf seiner Scholle. Ihr als Mönch jedoch habt ein Armutsgelöbnis abgelegt, dazu ein Gehorsamsgelübde, das Euch zu jeglicher Form von Arbeit verpflichtet, die Euch der Abt auferlegt. Nun bin ich nicht Euer Abt, aber Ihr dürftet diese Arbeiten gewohnt sein. Betrachtet sie als weitere Stufe der Läuterung näher zu Eurem Gott.«
»Octavien de Saint-Amand! Es ist nicht mein Gott, es ist unser aller Gott. Und er schuf Adam als Ackermann. Wollt Ihr Euch besser dünken als der erste Mensch im Paradiese?«
»Aber Ihr seid der Erleuchtete. Ich fürchte, ich könnte einen echten Kreuzsplitter nicht von einem gewöhnlichen Stück Holz unterscheiden.«
Dieser lächerliche Wortwechsel ging noch eine Weile hin und her, bis sie sich darauf einigten, dass Emanuel die Grabplatten entfernen und Octavien beginnen solle zu graben, weil er, wie Emanuel ihm schmeichelnd versichert hatte, die stärkeren Arme habe.
Außer den Namen wiesen die Grabplatten keine Inschriften oder andere Merkmale auf. Emanuel wuchtete sie aus der Erde und ließ sie unsanft auf den Rasen poltern. Vielleicht hätte er unter anderen Umständen doch ein wenig die Geister der Selbstmörder gefürchtet, aber der Gedanke, ganz nah an der Auflösung des Rätsels zu sein, wischte alle Bedenken hinweg.
Octavien grub, bis ihm der Schweiß von der Stirn lief. Auch ihn hatte das Entdeckerfieber gepackt. Dabei fiel ihm nicht auf, wie leicht und locker die Erde war, die diese Gebeine angeblich schon hundert Jahre bedeckte. So dauerte es auch nicht lange, bis er auf etwas Hartes stieß. Hastig scharrte er den Sand beiseite. Er hatte tatsächlich menschliche Gebeine gefunden. Emanuel vergaß, dass er den Eingang im Auge behalten sollte, und starrte gemeinsam mit Octavien in die Grube. Die Knochen waren alt, das konnte man an ihrer dunkelbraunen Farbe erkennen. Als Octavien noch mehr von den Skeletten freilegte, kamen auch Fetzen einer Mönchsbekleidung zum Vorschein. Octavien bückte sich und klaubte ein kleines silbernes Kreuz aus dem Sand. Es hatte neben einer Knochenhand gelegen.
»Grabt weiter!«, zischte Emanuel. Am liebsten hätte er den Boden mit bloßen Händen weggeschaufelt. »Ich fühle, es ist da!«
Octavien schaufelte die Skelettteile respektlos aus dem Grab und warf sie in hohem Bogen auf das Gras neben dem Erdkreis, wo sie gänzlich auseinanderfielen. Emanuel schreckte vor der rüden Art zurück und murmelte etwas von mehr Ehrfurcht vor den Toten.
»Das sind Selbstmörder«, schnaubte Octavien, der sich vorkam wie daheim einer seiner niedrigsten Knechte. »Ich hoffe nur, Euer Gefühl trügt Euch nicht, sonst werde ich mich für diese Schmutzarbeit rächen.«
»Arbeit
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