Schatten eines Gottes (German Edition)
Namen – wollte sagen, in meiner Heimat vergibt man Namen, auf die man stolz sein kann und die den Weg weisen, den man gehen sollte.«
»Dann sollte ich meinen Geburtsnamen wieder annehmen. Er bedeutet der Gepriesene oder der Gesegnete.«
»Ja, ich weiß, eben drum. Hört sich noch mehr nach christlichem Mönch an als Bernardo.«
Alle lachten.
Bernardos Lachen erhitzte Sinan wie feuriger Wein. Was für eine Verschwendung, dass so ein Mann mit seinem Bruder zusammenlebte, der sein bestes Teil nur zum Wasserlassen benutzte. Aber je länger er die beiden beobachtete, desto mehr fiel ihm auf, wie behutsam und zärtlich sie miteinander umgingen.
Mönchisches Getue,
dachte Sinan verächtlich.
Zwei männliche Jungfrauen werfen sich christlich keusche Blicke zu, es ist nicht zum Aushalten.
Und abermals dachte er sehnsüchtig an Nicholas.
Vielleicht wäre ihr Gespräch so heiter ausgegangen wie an anderen Tagen, wenn nicht Balthasar in höchster Aufregung auf Octavien zugeeilt wäre. »Herr, Ihr müsst kommen. Vor den Toren des Klosters steht eine – eine Frau!«, stieß er hervor, als habe dort ein Waldgeist angeklopft. »Ich glaube gar, der Pförtner Bruder Vincent hat sie bereits in den Hof eingelassen. Sie will zu Euch.«
Balthasars Bestürzung verwandelte sich in totale Verwirrung, als Octavien ihn jäh umarmte. »Agnes!«, jubelte er und stieß den Diener vorwärts. »Schnell, geh voran! Ich werde mir den Pfad durch den Wald nie merken können.«
Außerdem brauche ich jemanden, der mir die zurückschnellenden Zweige vom Leib hält,
dachte er vergnügt. Die Welt war plötzlich ein wundervoller Ort geworden.
Die zurückbleibenden Männer sahen sich an. Jeder empfand bei dem Namen Agnes etwas anderes. Bernardo strahlte beinahe ebenso wie Octavien. Jeder hier wusste schließlich von seinem Missgeschick, und er gönnte ihm von Herzen dieses Wiedersehen mit dieser Frau.
Emanuel war zusammengezuckt, wollte sich aber weder vor Bernardo noch vor Sinan eine Blöße geben. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihm die Begegnung schließlich erspart bliebe, weil in Neubabylon keine Frauen Zutritt hatten.
Sinans Gefühle waren zwiegespalten. Diese Frau, die ihm einmal ungerührt Apfelsaft über den Kopf gegossen hatte – er bewunderte sie, weil sie den Mut gefunden hatte, sich allein bis nach St. Marien durchzuschlagen, um ihren Geliebten wiederzusehen, und er hasste sie, weil er sie dafür bewunderte, denn Frauen mochte er solche Eigenschaften nicht zugestehen.
***
Agnes hockte in einem kleinen, kahlen Raum auf einem Schemel und wippte ärgerlich mit der rechten Fußspitze. Ihr gegenüber hinter einem unaufgeräumten Tisch saß ein Mönch mit grämlicher Miene und schrieb etwas auf ein Pergament. Er würdigte sie keines Blickes. Immerhin hatte sie es geschafft, dass man sie in dieses Vorzimmer gelassen hatte. Der Pförtner hatte sie einfach vor dem Tor stehen lassen. Etwas Proviant und einen Schlauch mit Wasser könne er ihr mit auf den Weg geben, dann solle sie sich davonmachen. Hier hätten Frauen keinen Zutritt. Und außerdem sei sie bestimmt auf einem Hexenbesen hergeritten, denn keine Frau würde den Weg durch die Wildnis allein bewältigen.
›Hör mal, Bruder Unhöflich‹, hatte sie ihm geantwortet, ›wenn ich einen Hexenbesen hätte, würde ich mir dann vor Eurem Tor die Füße in den Bauch stehen? Ein Tempelritter ist hier abgestiegen, sein Name ist Octavien de Saint-Amand, und er wartet hier auf mich. Wir sind nämlich verlobt. Also lass mich herein und mit ihm reden, sonst wird es dir übel ergehen.‹
Bruder Vincent wackelte zögernd mit dem Kopf. So eine Entscheidung hatte er noch nie treffen müssen. Tatsächlich war dieser Ritter vor Wochen hier abgestiegen. Was sollte er von der Sache halten?
»Ich muss fragen«, sagte er, und er fragte den Bruder Schreiber, was zu tun sei.
»Eine Frau für den Junker, sagst du? Er ist ein Ehrengast des Meisters, das könne Schwierigkeiten geben. Also lass das Weib meinetwegen in meinem Zimmer Platz nehmen.«
Und nun saß Agnes bereits eine geschlagene Stunde auf dem unbequemen Hocker, ohne dass sich etwas tat. Man hatte nach Octavien geschickt. Das bewies immerhin, dass er sich wirklich hier aufhielt und sie den Weg nicht vergebens gemacht hatte. Aber er ließ sich Zeit. Das Kloster war doch recht klein, weshalb kam er nicht? Und was trieb er hier überhaupt, weitab von allem Geschehen? Von diesem Ort hatte er ihr noch nie etwas gesagt. Wollte er etwa
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