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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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Lebensenergie, die stets von ihm ausgegangen war, schien erkaltet, seine Leuchtkraft verblasst. Sinan war heimgekommen. Sie saßen im Arbeitszimmer Nathaniels, aber auf dem vom Zahn der Zeit abgewetzten Stuhl saß ein neuer Meister. Monthelon hatte Sinan nach dessen Ankunft sofort zu sich gebeten. Er war hocherfreut über sein Erscheinen. Hoffte er doch, von ihm Näheres über die Umstände zu erfahren, die zur Ermordung Nathaniels geführt hatten. Aber der Mann, der da vor ihm saß, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Was für schreckliche Vorfälle mussten sich ereignet haben, dass es diesen kaltblütigen und zynischen Menschen so niedergeschmettert hatte? Sein maskenhaftes, blutleeres Gesicht drückte tiefste Verzweiflung aus. Hatte der Tod Nathaniels ihn so mitgenommen? War er ihm gar hörig gewesen und sah nun keinen Sinn mehr im Leben? Alle diese Vermutungen wollten einfach nicht zu dem Sinan passen, den Monthelon kannte.
    »Ich weiß, du musst erschöpft sein«, begann er die Unterredung. »Der Tod Nathaniels hat uns alle sehr getroffen, aber die Bewegung darf deshalb nicht scheitern. Du weißt, das war auch stets Nathaniels Wille gewesen.«
    Sinan nickte matt.
    »Verstehe bitte auch, dass ich dich gleich mit Fragen überfalle. Wir hier in Neubabylon wissen so gut wie nichts über die Vorgänge in Rom oder Perugia. Kannst du etwas Licht in die Angelegenheit bringen? Weißt du Näheres? Die Auskünfte sind sehr wichtig für uns.«
    Sinan faltete bedächtig die Hände, als müsse er sich sammeln. »Ja Yves. Verzeih, ich wollte sagen, ja Meister. Ich weiß alles, und wahrscheinlich bin ich der Einzige, der die Wahrheit kennt. Ich klage mich des Mordes am Meister des Lichtes an und bin gekommen, um mich dem Urteil der Bewegung zu unterwerfen.«
    Monthelon erbleichte. »Was sagst du da?«
    Sinan hob den Kopf und sah Monthelon an. Nichts regte sich in seinen erstarrten Zügen. »Bitte hört meinen Bericht an, ohne mich zu unterbrechen, denn es bereitet mir Schmerzen, mich erinnern zu müssen.« Er räusperte sich, um seiner tonlosen Stimme mehr Kraft zu geben. »Alles begann damit, dass Innozenz zu einer Reise aufbrach. Unter den Kardinälen, die ihn begleiteten, befand sich auch der Meister. Er befahl mir, mich unerkannt unter den Begleitzug zu mischen und eine Gelegenheit abzuwarten, Innozenz zu töten …«
    Sinan erzählte von der überraschenden Rast bei Perugia, von der Abschottung des Papstes und der Kardinäle in San Pietro, von seiner Unruhe und schließlich vom Erscheinen des Papstes in der Kapelle. Dann schilderte er scheinbar ohne jede Gefühlsregung, wie er dem Befehl des Meisters nachgekommen sei und den Papst getötet habe.
    Mit kraftloser Stimme und ohne Betonung, als leiere er etwas auswendig Gelerntes herunter, fuhr er fort: »Innozenz war an einer Krankheit verstorben, und der Meister hatte sein großes Ziel erreicht. Sie hatten ihn zum Papst gewählt, und am Tag seines größten Triumphes war er in die Kapelle gekommen, um zu beten. Ich sah nur das päpstliche Ornat, dieses Weiß, dieses schemenhafte, gespenstische Weiß!« Sinan begann zu zittern, und Monthelon legte ihm begütigend eine Hand auf den Arm. »Ich führte meinen Auftrag aus. Und dann …« Sinan schien ins Leere zu blicken: »… dann brach die Welt über mir zusammen, denn ich hatte meinen Meister getötet.«
    Er schwieg erschöpft, als hätte er soeben mit seinen Händen einen Berg abgetragen. Und auch Monthelon schwieg. Dies war keine Geschichte, die zum Reden ermutigte, obwohl er noch Fragen hatte. Diese Geschichte verlangte nach einem Raum der Stille, damit die aufgewühlten Gedanken sich langsam auf den Grund der Seele senken konnten.
    Sinan war es, der das Schweigen brach. Er bemühte sich so verzweifelt, Haltung zu bewahren, sich immer noch für den Mann zu halten, den nichts zerbrechen konnte, doch die Stille hielt er nicht aus. »Ich bitte die Bewegung um ein gerechtes Verfahren. Ich werde mich jedem Urteil beugen.«
    Monthelon nickte zerstreut. Er sah Sinans inneren Kampf, der alles zu vernichten drohte, was ihn einmal ausgemacht hatte. Und jetzt erwies Monthelon sich als wahrer Meister, seines Amtes würdig.
    »Ich werde deine Sache der Versammlung der Ehrwürdigen vortragen und ihre Meinungen anhören. Doch wie du weißt, wird am Ende mein Urteil den Ausschlag geben. Was passiert ist, nennt der Weise ein Verhängnis, unabwendbar, daher frei von Schuld. Es ist geradezu eine ödipale Tragödie, der Sohn tötet

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