Schatten eines Gottes (German Edition)
kamen aus einer Tür und gingen in seine Richtung. Hubert rutschte über die niedrige Mauer, die den Gang vom Garten trennte, und versteckte sich unter einem verblühten Ginsterbusch. Die beiden Mönche gingen vorüber und verschwanden in der nächsten Tür. Hubert reckte den Hals, ob die Luft rein war. Er wollte diesen Ort noch nicht verlassen, zuerst wollte er alle Bilder anschauen. Das konnte doch nicht verboten sein. Oder durften Sarazenenkinder auch keine Bilder betrachten?
Als er sich gerade aus der Hocke erheben wollte, erstarrte er vor Schreck. Drüben im Schatten eines tief hängenden Rosenbusches saß auf einer steinernen Bank ein älterer Mönch. Wie lange hatte er da schon gesessen? Er musste ihn die ganze Zeit beobachtet haben. Hubert sprang auf und wollte weglaufen. Aber der Mönch rief ihn an: »Lauf nicht weg! Wer bist du?«
Die Stimme war gebieterisch und doch angenehm, nicht so kratzig wie die vom Prior. Da Hubert Gehorsam gewohnt war, blieb er stehen. »Ich bin Hubert.«
»Hubert? Nach dem heiligen Hubertus?« Der alte Mönch winkte ihm. »Komm näher. Ich tu dir nichts.«
Dieses Winken einer Altmännerhand! Hubert durchfuhr es siedeheiß. Was wollte der alte Mann von ihm? Er blieb stocksteif stehen.
»Hast du Angst? Na, dann bleib da, wo du bist. Zu wem gehörst du?«
»Ich bin doch bei Karlmann.«
»Und was tust du hier im Kreuzgang?«
»Der Bruder Prior hatte mich rufen lassen.« Hubert senkte den Blick. Mehr wollte er nicht sagen.
»Hm.«
Hubert hatte den Eindruck, dass die Miene des Mönches sich verdunkelte.
»Hast du was ausgefressen?«
»Bestimmt nicht. Er …«
»Ach ja, Bruder Prior versichert sich gern der Dienste von gehorsamen Knaben bei der Messe. War es das? Solltest du ihm bei der Messe helfen?«
»Weiß ich nicht. Ja, vielleicht. Ich – ich habe den Ausgang nicht mehr gefunden.«
»Hm. Deine Eltern sind Bauern aus der Gegend?«
»Ja.«
Hubert senkte den Kopf. Die Sache von den Sarazenen wollte er nicht erwähnen.
»Dir haben die Bilder wohl gefallen?«
Hubert wurde so rot wie die Rosenblätter, die der letzte Sturm heruntergeweht hatte. »Ich bitte um Vergebung. Durfte ich sie nicht anschauen?«
»Wie kommst du denn darauf? Die Bilder sind ja dazu da, dass man sie anschaut, sie sollen das Herz erheben und erbauen. Die meisten gehen achtlos an ihnen vorüber, meinen, sie bereits zu kennen. Oberflächlich. Du wolltest sie mit deinen Fingern berühren, um ihnen ganz nahe zu sein. Habe ich recht?«
»Oh – ich weiß nicht.«
»Wie alt bist du?«
»Acht Jahre.«
»Könntest du dir vorstellen, eines Tages Mönch zu werden?«
Hubert stieß einen überraschten Laut aus. »Ich? Aber ich doch nicht. Das werden doch nur Männer von hoher Geburt.«
»Wer hat dir denn das erzählt?«
»Der Bruder Prior. Er hat gesagt, ich sei zu dumm dazu, weil ich ein Bauernsohn bin, aber ich glaube, ich bin nicht dumm.«
»Nein, das glaube ich auch nicht. Aber lesen müsstest du schon können, müsstest ja die Heilige Schrift lesen, etwas Griechisch, etwas Latein.«
»Latein?« Hubert schwindelte der Kopf. »Das ist doch eine heilige Sprache!«
»Eine Kirchensprache, aber heilig? Nein. Ehrwürdig vielleicht, ja. Denn es ist nicht nur die Sprache der Kirche, es ist auch die Sprache von Cäsar und Cicero, von Vergil und Plinius.«
»Sicher lauter heilige Männer«, murmelte Hubert.
»Eher unheilig und weltlich, aber helle Köpfe. So wie du, Hubert. Möchtest du nicht Latein lernen?«
»Aber dann platzt ja mein Kopf!«
»Irgendjemand muss dir viel Unsinn erzählt haben. Willst du nicht näherkommen und dich zu mir setzen? Inzwischen weißt du wohl, dass ich nicht beiße.«
Hubert trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Der Mann war wirklich freundlich, nicht so wie der Bruder Prior, aber vielleicht war das nur eine Tarnung. »Ich will aber nicht angefasst werden«, stieß er schließlich hervor.
In dem faltigen Gesicht des Mönches zuckte eine Braue hoch. »Das werde ich ganz bestimmt nicht tun«, erwiderte er ruhig und sehr ernst. »Du darfst dich getrost neben mich setzen.«
Hubert fasste Mut und ging zu dem alten Mönch hinüber. Als er auf der Steinbank Platz genommen hatte, durchquerten drei jüngere Mönche den Kreuzgang. Hubert erschrak, doch sie beachteten ihn überhaupt nicht. Der alte Mönch saß leicht gebeugt neben ihm, er war bartlos und hatte einen schlohweißen Haarkranz. Seine runzeligen, im Schoß gefalteten Hände hielten einen Rosenkranz. Er
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