Schatten eines Gottes (German Edition)
sich zu Hubert hinunter, bis sein saurer Altmänneratem diesem ins Gesicht schlug. »Wie würde dir ein Hemd aus weißem Leinen gefallen?«, schnarrte er. »Dazu Sandalen bis unter die Knie geschnürt, wie die Römer sie trugen? Die Römer waren ein großes, stolzes Volk, weißt du? Und wenn ein kleiner Junge ihnen gefiel, verwöhnten sie ihn. Möchtest du nicht auch von mir verwöhnt werden?«
Hubert wusste nicht, was das bedeutete, verwöhnt zu werden. Aber etwas war in der Stimme des Priors, das ihm nicht gefiel. »Nein. Ich möchte lesen lernen.«
Trotzig blieb er dabei, denn vielleicht würde der Prior ihn dann endlich gehen lassen.
»Du bist ein undankbarer Bengel!«, schnarrte der Prior, und seine heisere Stimme ging in ein misstönendes Krächzen über. »Hast du denn nichts von dem begriffen, was ich dir gesagt habe? Bist du sogar dazu zu dumm?«
Hubert erschrak über die Heftigkeit des Priors, aber gleichzeitig erinnerte er ihn an eine alte Krähe. Einen sehr heiligen Eindruck machte er nicht, und wenn aus seinem kahlen Schädel kleine Hörner herausgeschaut hätten, dann würde er gerade so aussehen, wie Hubert sich die Gehilfen des Teufels vorstellte. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich ein Grinsen verkneifen.
»Ich bin nicht dumm. Und ich stinke nicht. Ich wasche mich jeden Tag am Brunnen. Ich bin schmutzig, weil ich im Garten gearbeitet habe. Aber wenn Bruder Michael die neuen Pflanzen setzt, ist er auch schmutzig, und er ist doch ein Mönch. Ich bin nicht dumm, und ich will lesen lernen. Ich weiß, dass ich es kann.«
»So, so.« Der Prior fasste sich an die Nase und starrte Hubert an. »Da haben wir also einen ganz Schlauen und einen Aufmüpfigen dazu. Wie konnte ich mich nur so in dir irren, du kleiner Bastard. Dann will ich dir etwas erzählen, du Neunmalkluger. Dein Vater hat dich im Wald ausgesetzt, weil du ein Teufelsbalg bist, den er mit einer Araberschlampe vom fahrenden Volk gezeugt hat.«
»Das ist nicht wahr!«, schrie Hubert. Ihm wollten die Tränen kommen, aber vor dem gemeinen alten Mann wollte er nicht weinen. »Ich bin kein Teufelsbalg!«, schrie er. »Das ist eine Lüge, eine Lüge!«
»Eine Lüge? Dann sieh dich doch einmal an. Bist du etwa wie die anderen Jungen? Nein, deine Haut ist dunkel, weil du der Finsternis angehörst, dein Haar und deine Augen sind so schwarz wie die Hölle. Du bist nicht der Sohn eines anständigen Bauern.«
Hubert saß stocksteif auf dem Schemel. In seinem Kopf schien etwas mit lautem Knall zu zerplatzen.
»Als Bruder Andreas dich mitgebracht hatte, haben wir uns natürlich erkundigt. Auf der Straße nach Köln haben wir ihre dreckigen Wagen angehalten, voll von Gauklern, Huren und Betrügern, die Kinder stehlen und sie zum Stehlen abrichten. Dein Vater, so schwor ihr Patron, sei ein Taschenspieler gewesen und deine Mutter eine sarazenische Hure. Ja. Mir war sofort klar, dass du Sarazenenblut in dir haben musst. Dennoch haben wir dich nicht abgewiesen. Wir haben uns bemüht, dir die Liebe und Gnade Gottes näher zu bringen.«
»Sarazenen?«, flüsterte Hubert.
»Ja. Ein heidnisches Volk, das den Teufel anbetet, deshalb haben sie eine bräunliche Farbe. Die Sarazenen sind die Feinde aller Christen. Sie beherrschen das goldene Jerusalem, wo der Herr Jesus für uns am Kreuz gestorben ist, und besudeln die heiligen Stätten mit ihren Abscheulichkeiten, denn Satan hat ihnen viel Macht gegeben.«
Obwohl es in dem Raum warm und stickig war, begann Hubert zu zittern. Kaltes Entsetzen erfasste ihn, dass es ein solches Volk überhaupt gab. Und er sollte dazugehören? Dann war er für alle Zeiten verdammt. Dann war die Hölle ihm sicher. »Ich bin kein Heide!«, stieß er halb verzweifelt, halb trotzig hervor. »Ich liebe unseren Herrn Jesus, und ich habe nichts getan, nicht mit Absicht. Ich will nicht in die Hölle.«
Der Prior ließ Hubert, der vernichtet zu seinen Füßen hockte, eine Weile auf eine Antwort warten. »Eine schlimme Sache«, knarzte er schließlich. »Es gibt auf dieser Welt viele Gottesfeinde: Zauberer, Ketzer, und Heiden. Die heilige Mutter Kirche bemüht sich, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen, aber die Sarazenen sind Teufelsanbeter und von Gottes Gnade ausgeschlossen.«
Der Prior stieß einen tiefen Seufzer aus. »So ist es leider.«
Hubert schluchzte auf, und der Prior lächelte.
»Lass nicht alle Hoffnung fahren. Vielleicht hat sich der Mann geirrt, und du bist gar kein Sarazene. Du bist dunkel und schwarzhaarig,
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