Schatten eines Gottes (German Edition)
aber deine Mutter könnte auch aus Spanien oder Sizilien stammen.«
»Bestimmt ist es so!«, rief Hubert hastig.
»Nun, zum Glück gibt es eine Methode, das herauszufinden.« Der Prior berührte Huberts Kinn, hob es an und sah ihm in die Augen. »Wollen wir das gemeinsam tun, Hubert?«
Hubert nickte, und nun lief doch eine Träne seine Wange hinunter.
»Die Sarazenen haben nämlich grüne Geschlechtsteile, so grün wie verschimmeltes Brot, verstehst du? Weil sie dem Teufel dienen und durch und durch verdorben sind. Sind deine Geschlechtsteile grün? Zeig doch mal.«
»Meine was?«, fragte Hubert verwirrt. Er wusste, was der Prior meinte, aber diese Wendung brachte ihn durcheinander. Der Prior jedoch glaubte, Hubert wisse nicht, was das sei. »Ich meine deinen kleinen Hahn, den, womit du Pipi machst.«
Hubert biss sich auf die Lippen. »Der ist nicht grün.« Er hob den Kittel an. »Seht Ihr, Bruder Prior, er ist ganz normal.«
Rasch ließ er den Kittel wieder fallen. Zu rasch für den Prior.
»Er schien mir normal zu sein, in der Tat. Aber Satan ist listig. Ich muss noch überprüfen, ob er süß schmeckt, denn bei den Sarazenen hat er einen garstigen Geschmack, weil schon die kleinen Kinder mit den Teufeln verkehren.«
Hubert wusste nicht, was verkehren bedeutete. Aber genug, um zu begreifen, was der Prior im Schilde führte. Er hatte nicht Jahre mit den anderen Jungen im Schlafsaal verbracht, um nicht zu wissen, was da unter den Decken geschah. Im Gottesdienst nannte man es Unkeuschheit und geißelte es als eine furchtbare Sünde. Aber alle Jungen taten es, auch Karlmann. Und es war nicht weiter schlimm, solange es die Mönche nicht erfuhren. Obwohl Karlmann behauptete, sie wüssten es und täten es selbst. Das mochte stimmen oder nicht. Wenn jedoch der Prior, der gleich nach dem Abt und dem lieben Gott kam, es auch tat, dann war etwas an der Sache verkehrt. Vielleicht war die Unkeuschheit dann gar keine Sünde? Oder nur eine ganz Kleine, die man durch eine Beichte ganz schnell wieder los wurde. Aber die Vorstellung, von dem alten Mann berührt zu werden, ekelte Hubert an. Warum, wenn er unkeusche Dinge tun wollte, nahm er dazu nicht die Mönche?
»So was hat uns der Bruder Martin in der Predigt verboten«, erwiderte Hubert, allen Mut zusammennehmend. »Er hat gesagt …«
»Still! Halt schon den Mund!«, winkte der Prior ärgerlich ab. »Ich kenne die Predigten besser als du. Aber du willst doch eine gewissenhafte Prüfung deiner Abstammung nicht mit …« Der Prior räusperte sich. »… mit Unkeuschheit verwechseln? Oder hast du deinem Prior solche schändlichen Gedanken unterstellt?«
War Hubert vorher kalt gewesen, so begann er jetzt zu schwitzen. Alles, was er ab jetzt sagte oder tat, konnte nur falsch sein. Er wollte nicht mehr hier sein, wollte sich auflösen, verschwinden. Aber wie? Er konnte das Zimmer verlassen, das Kloster nicht. Er war ein Gefangener. Das hier war nicht seine Familie, nicht mehr. Das Kloster war zu einem Gefängnis geworden, in dem man ihn wie einen Heiden behandeln würde.
Da läutete die Glocke, sie rief zum Abendgebet.
»Die Glocke zur Vesper!«, stieß Hubert erleichtert aus. »Ich darf sie nicht versäumen.« Ohne die Antwort des Priors abzuwarten, sprang er auf, eilte zur Tür, schob den Riegel zurück, öffnete sie und rannte hinaus auf den Gang. Aber in seiner Eile schlug er die falsche Richtung ein und fand den Ausgang nicht mehr. Er rannte an vielen Türen vorbei, aber er wagte es nicht, an eine zu klopfen. Und dann stand er plötzlich im Sonnenlicht.
Um ein Geviert, das wie ein prächtiger Garten angelegt war, zog sich ein säulengetragener überdachter Gang. Die Wände waren mit wunderschönen Bildern verziert. In dem Garten wuchsen Rosenbüsche und andere Blumen, und aus einem Springbrunnen sprudelte klares Wasser in ein Becken. Vor Verwunderung vergaß Hubert kurz seine Ängste. So musste der Palast eines Königs aussehen, dachte er andächtig und begann langsam den ganzen Kreuzgang abzuschreiten und die Bilder zu bewundern. Es waren farbenprächtige Geschichten aus dem Leben von Heiligen, der Jungfrau Maria und Jesus. Und ihre Gesichter und Gewänder waren gemalt als lebten sie. Ehrfürchtig betastete Hubert die Bilder und zog die Linien ihrer Körper mit seinen Fingern nach. Er hätte sich nicht gewundert, wenn sie plötzlich von der Wand herabgestiegen wären.
Als Hubert hinter sich ein Geräusch hörte, huschte er hinter eine Säule. Zwei Mönche
Weitere Kostenlose Bücher