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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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vielen Kirchen und bedeutenden Reliquien aufsuchten, hatten oftmals die weitesten Wege hinter sich. Sie kannten nicht nur andere berühmte Pilgerstätten wie Santiago de Compostela oder Rom, viele von ihnen hatten bereits geweihten Boden betreten, hatten das goldene Jerusalem geschaut, hatten am Grabe des Herrn gebetet. Ihre Füße hatten die Erde berührt, auf der Gottes Sohn gewandelt war, hatten die Stätten schauen dürfen, wo er seine Lehre verkündigt und gelitten hatte. Nicholas besaß nur eine verschwommene Ahnung von der Welt außerhalb Kölns und genoss den Hauch der Fremde, der auf dem Markt zu spüren war.
    Im Land herumgekommen waren auch die Wanderprediger. Einer von ihnen hatte dreist das hölzerne Blutgerüst erklommen, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Er sah aus wie die meisten seiner Zunft: mager, mit langen, zotteligen Haaren, ungepflegtem Bart und zerschlissenem Gewand. Er besaß einen glühenden Blick und verfügte über eine kreischende Stimme. Seine Predigt handelte von der Lasterhaftigkeit, die überall herrsche, vom Ende der Welt und den schrecklichen Höllenstrafen, die jedem drohe, der nicht umkehre und ein gottgewolltes Leben führe.
    Und der dann am Ende so aussieht wie du alte Vogelscheuche,
dachte Nicholas belustigt.
    »Was ist ein gottgewolltes Leben?«, fuhr der Prediger fort, vom Schreien schon ganz heiser, um seinen Rivalen ein paar Schritte weiter zu übertönen. »In den Badestuben herumzuhuren oder täglich Kapaun zu fressen wie die Herren Dompröpste oder unser lieber Erzbischof, während sich das Heilige Land, wo unser Herr Jesus gelebt hat, sich immer noch in den Händen der schmutzigen Heiden befindet? Unsere tapferen Kreuzritterheere haben viele von ihnen vernichtet, doch sie haben zu viele übrig gelassen. Einige unserer Herrscher haben schändliche Friedensverträge mit den heidnischen Fürsten geschlossen, was soviel heißt wie mit dem Satan selbst zu paktieren. Hunderte, ja Tausende haben ihr Leben dort gelassen, ihr Märtyrerblut schreit zu uns. Sollen sie es umsonst vergossen haben? Daher rufe ich euch auf, ihr Satten, ihr Trägen! Hinweg mit den Dirnen, den fetten Speisen und schweren Weinen. Ihr Domgrafen, Landgrafen und Ritter, rüstet euch wieder mit dem Harnisch, gürtet euer Schwert um und nehmt das Kreuz. Entreißt den Heiden das Heilige, das sie täglich entweihen! Für jeden Erschlagenen werden euch hundert Jahre Fegefeuer erlassen. Jede Sünde, die ihr im Leben noch begehen mögt, ist euch von vornherein vergeben, wenn ihr euer Leben für den Heiland gebt. Amen!«
    Keuchend musste er eine Weile innehalten, sein stechender Blick schien sich an Nicholas festzusaugen, vielleicht, weil dieser ihm offenbar als einziger zugehört hatte. Dieser schüttelte den Kopf und richtete seine dunkelbraunen, sanften Augen auf ihn. »Nein«, sagte er leise, »was du sagst, ist nicht recht. Gott will kein Blutvergießen. Vielleicht hat Gott das Land den Heiden gegeben, weil sie es mehr verdient haben als wir, denn wir haben uns der Sünde des tausendfachen Mordes schuldig gemacht.«
    Das Gesicht des Predigers lief dunkelrot an, seine Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, und sein Mund öffnete sich wie ein Höllenschlund, bereit, die Verdammnis auszuspeien. »Was sagst du da?«, kreischte er, während ihm die Speichelfetzen von den Lippen flogen. »Du abscheulicher Ketzer, du Antichrist!« Er stieß seine mageren Fäuste anklagend in den Himmel. »Hinweg, du heidnische Versuchung, du Wegbereiter Satans!«
    Erschrocken über diese Heftigkeit wich Nicholas einige Schritte zurück und prallte dabei gegen einen Mann in brauner Kutte, der es sehr eilig hatte.
Einer von dem neuen Orden
, dachte Nicholas überrascht und wollte sich für seine Ungeschicklichkeit entschuldigen, da war der Mann schon von dannen geeilt. Er hatte eine Kapuze getragen. Nicholas erhaschte nur den vagen Eindruck eines schmalen Gesichtes mit dunklem Bart, freundlichen Augen und einem gütigen, sehr sanften Lächeln. Es blieb noch eine geraume Weile in seinem Gedächtnis haften und ließ ihn die rohen Worte des Wanderpredigers vergessen.
    Auch auf dem Heimweg ging ihm das Gesicht unter der Kapuze nicht aus dem Kopf. Wie ein Schatten war es vorübergeglitten. Es hatte Güte ausgestrahlt, nicht jene gönnerhafte Milde, die Nicholas von wohlgenährten Bürgergesichtern kannte, es schien von innen zu leuchten. Nicholas fühlte, es war die Antwort auf seine bohrenden Zweifel. Es schien auszudrücken:
Fürchte

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