Schatten eines Gottes (German Edition)
Worte scheinen aber Wirkung zu zeigen, das nenne ich Talent.«
Jakob schnaubte ärgerlich. »Das Volk ist abergläubisch. Der Bischof wird dem Treiben schon ein Ende bereiten. Aber die Arbeit ruft. Ich wünsche Euch noch einen guten Tag.«
***
Beunruhigt begab sich Octavien auf sein Zimmer. Offensichtlich sollte dieser wahnwitzige Kreuzzug tatsächlich stattfinden. Der Bettelmönch hatte sich durchgesetzt. Eine gefährliche Bande, dieser neue Orden. Schleimte sich beim Heiligen Vater ein, kroch mit den Hungerleidern durch den Dreck, löffelte mit ihnen aus derselben Schüssel und überlistete so nebenher die angesehensten Ordensleute. Sie waren dabei, das Zeichen zu setzen, auf das es ankam. Das Zeichen, das Octavien erst zu finden hoffte. War der Teufel mit den Braunkutten im Bunde? Wie war es sonst zu erklären, dass aus der Hefe des Volkes etwas entstand, was der Führungsschicht vorbehalten sein sollte: die Rettung der Christenheit? Der Wandel hatte von oben zu kommen, nicht von unten. Der Pöbel konnte nichts bewirken, durfte nichts bewirken.
Um so dringender war es nun geboten, die Reliquie zu finden, damit die Menschen sich ihr zuwandten und nicht in einem heillosen Haufen verblendeter Kinder ihr Heil suchten.
Octavien hatte sich nach dem Essen, das er auf dem Zimmer eingenommen hatte, etwas hingelegt. Gerade dachte er daran, dass er gleich morgen früh den Dompropst aufsuchen musste, als es an der Tür klopfte.
»Herein!«, rief Octavien.
Es war Nicholas. In der Hand trug er ein Päckchen.
Octavien sprang bei seinem Anblick förmlich aus dem Bett. »Du? Was willst du von mir?«, als sei Nicholas ein ihn heimsuchender Dämon.
Nicholas ließ sich wegen dieser Unhöflichkeit nichts anmerken. Er legte sein Päckchen auf den Tisch. »Ich habe Euch etwas mitgebracht und hoffe, Euren Geschmack getroffen zu haben.«
Misstrauisch wanderte Octaviens Blick von dem Knaben zu dem Päckchen und wieder zurück. Er versuchte, in Nicholas’ Zügen etwas von dem zu erkennen, was sich gestern auf den Gesichtern der Kinder abgespielt hatte – einen besonderen Glanz, selige Erleuchtung, einen Heiligenschein – doch außer zugewandter Freundlichkeit konnte er nichts entdecken. Er nahm das Päckchen in die Hand. Über seiner Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte. Was mochte der Knabe mit seiner Gabe bezwecken? Niemand verschenkte grundlos etwas.
»Ein Geschenk? Für mich?«
»Ihr müsst es auswickeln.«
Zum Vorschein kam ein Paar weißer Lederhandschuhe. Octavien wusste nicht, ob er darüber lachen oder ungehalten sein sollte. »Ich fürchte«, sagte er gedehnt, während er prüfend über sie hinstrich, »du verfolgst damit eine gewisse Absicht.«
»Sind sie zu Eurer Zufriedenheit?«
Octavien streifte sie über seine Hände. »Sie passen wie angegossen. An den Handschuhen habe ich nichts auszusetzen. Sie sind makellos.«
»Dann werdet Ihr sicher den roten Arik laufen lassen?«
Octavien lächelte herablassend. »Bei der heiligen Madonna! Diesen Spitzbuben hatte ich längst vergessen. Wirklich, ich weiß nicht, weshalb ein Junge deiner Herkunft überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendet. Wird er gehängt, was geht der Welt verloren? Ein kleiner Gauner, der bald ein großer Gauner sein wird.«
»Ein kleiner Gauner, der Hunger hat, sonst nichts.«
Octavien nickte abwesend, während er die Handschuhe sorgfältig wieder von den Fingern zupfte. »Gestern wollte ich im Dom am Schrein der Heiligen Drei Könige beten, aber ich konnte es nicht. Niemand konnte es, weil du dort gepredigt hast. Und deine Predigt hat den Pöbel angezogen. Dadurch bin ich in eine ärgerliche Lage geraten. Ich habe mich gefühlt, als sei ich von wimmelnden Ratten umgeben. Es herrschte ein derartiges Gewühl auf dem Platz, dass ich geraume Zeit gezwungen war, inmitten des Mobs zu verharren. Was hast du mir dazu zu sagen?«
Nicholas überhörte die herabsetzenden Bemerkungen. »Es tut mir leid, wenn Ihr Unannehmlichkeiten hattet. Besucht den Schrein morgen nach dem Vesperläuten, dann werdet Ihr Muße haben für Euer Gebet. Allerdings wird sich dort immer eine Anzahl Pilger aufhalten. Der Schrein ist sehr berühmt.«
»Danke für den Rat.«
Nicholas wandte sich zum Gehen.
»Du glaubst wirklich an diesen Kreuzzug, nicht wahr?«, hielt ihn Octavien zurück. »Ich meine, ihr wollt euch wirklich auf den Weg machen?«
»Ja. Die Welt braucht diesen Kreuzzug. Nur Unschuldige werden die Menschheit vor dem Bösen erretten.«
»Und der
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