Schatten eines Gottes (German Edition)
Bischof billigt das?«
»Ich weiß es nicht. Er ist nicht mein Herr. Jesus ist es. Ihm folge ich nach und mit mir viele von denen, die Ihr auf dem Platz vor dem Dom gesehen habt.«
»Wohin?«
»Ins Gelobte Land.«
»Nach Jerusalem?«
»Ja. Dort werden wir die Heiden bekehren, aber mit Liebe statt mit dem Schwert.«
Großer Gott, er ist völlig verrückt, er ist wahnsinnig,
dachte Octavien.
Der Junge wird in seinen Untergang laufen und mit ihm alle, die auf ihn hören. Man müsste ein paar von ihnen hängen, dann würden sie aufwachen und Nicholas mit ihnen. Er würde einsehen, dass ein kleiner, gutherziger Junge nichts anderes ist als eben dieses und kein Werkzeug Gottes.
»Der neue Orden der Franziskaner unterstützt euch wohl?«
»Alle, die reinen Herzens sind, tun es. Auch die Franziskaner.«
»Weißt du, wie lang der Weg nach Jerusalem ist?«, versuchte Octavien es mit Vernunft.
»Weit und beschwerlich, denke ich. Doch wir setzen bereits dadurch ein Zeichen, dass wir überhaupt aufbrechen.«
»Aha, ein Zeichen«, murmelte Octavien.
»Die Geschundenen und Geknechteten werden ein Ziel vor Augen haben, das jede Entbehrung lohnt: das himmlische, das goldene Jerusalem, wo alle ihre Wunden geheilt werden.«
Was für ein Irrwitz!,
ging es Octavien durch den Kopf.
Dieser Kreuzzug wird Tausende das Leben kosten, geopfert einem religiösen Wahn. Wer mag tatsächlich dafür verantwortlich sein? Die beiden Braunkutten in Altenberg werden sicherlich von weiter oben gelenkt. Eifrige Frömmler? Oder ist es sogar der Heilige Stuhl selbst, der seinen Segen dazu gibt? Greift die Kirche nach vier Niederlagen im Heiligen Land jetzt sozusagen nach dem letzten Strohhalm?
»Gottes Segen sei mit dir«, murmelte Octavien unwillkürlich.
»Und mit Euch«, erwiderte Nicholas, während er sich erhob. »Und behandelt Eure Handschuhe gut«, fügte er lächelnd hinzu.
Octavien zuckte zusammen. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er sie die ganze Zeit in seinen Händen zu einem Knäuel zusammengedrückt und auf ihnen herumgeknetet hatte.
»Wegen des Diebes habe ich dir nichts versprochen!«, rief er ihm nach.
Nicholas drehte sich noch einmal um. »Das ist nicht nötig. Ich weiß, dass Ihr im Grunde ein gutes Herz habt.«
***
Der Erzbischof von Köln, Dietrich von Hengebach, hatte die sechzig bereits überschritten, aber das hatte ihm nichts von seiner kämpferischen Natur genommen. Vom Papst exkommuniziert, residierte er, unbekümmert um die ferne Macht Roms, in seinem reichen und Heiligen Köln und nahm weiterhin priesterliche und bischöfliche Aufgaben wahr. Für den Papst hatte er nur Flüche und Verachtung übrig, denn die Exkommunikation hatte rein politische Hintergründe gehabt. Otto IV, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, hatte Dietrich von Hengebach den Kölner Erzstuhl verschafft. Doch dann hatte Otto versucht, sich das Königreich Sizilien einzuverleiben, wo der Staufer Friedrich herrschte, dessen Vormund dummerweise der Papst war. Innozenz, in solchen Sachen nicht zimperlich, stellte den Kaiser daraufhin unter den Kirchenbann. Und als der Kölner Erzbischof seinem Kaiser Otto auch nach dem Bann die Treue hielt, wurde er von Innozenz kurzerhand exkommuniziert. Die Bürger Kölns jedoch hielten zu ihrem Bischof, und in Rom hatte man andere Sorgen. Deshalb hielt von Hengebach weiterhin unangefochten die Stellung.
Seit einigen Tagen jedoch wuchsen die Dinge auch diesem kampferprobten Gottesstreiter über den Kopf. Die Gerüchte über einen Kinderkreuzzug, die Predigt des Nicholas Hardevust im Dom und die Zusammenrottung unzähliger Kinder brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Sollte er mit eiserner Hand dazwischenfahren oder die Kinder gewähren lassen? Beides bereitete ihm Kopfzerbrechen. Er verfügte nicht über genug berittene Knechte, um die Besessenen aufzuhalten, außerdem trugen ihm seine Gewährsleute zu, dass der größte Teil der Kölner ein göttliches Zeichen in der kindlichen Begeisterung erblickte. Womöglich hätte er, griffe er zu Gewaltakten, die ganze Stadt gegen sich, was schlimmer wäre, als den Papst im Nacken zu haben.
Seit jener Predigt im Karolinger Dom waren seine Arbeitsräume von früh bis spät von Besuchern belagert. Von Hengebach fühlte sich eingequetscht wie zwischen den Wänden einer eisernen Jungfrau. Verzweifelte Eltern, die ihre Sprösslinge nicht mehr in der Gewalt hatten, bedrängten ihn, diesen Kreuzzug nicht zuzulassen. Die Geistlichkeit war geteilter Meinung. Satanisches
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