Schatten eines Gottes (German Edition)
Blendwerk oder göttlicher Auftrag, jeder redete, wie er es verstand. Jetzt hatte sich auch noch einer jener unseligen Bettelmönche dazu gesellt. Zum Glück war er schweigsam und hielt sich unauffällig im Hintergrund, wo er ins Gebet vertieft schien.
Ja, ich fürchte, ich habe deine Gebete nötig, mein Sohn,
dachte der Bischof, der sich gerade erschöpft auf einem mit reichen Schnitzereien verzierten Stuhle niedergelassen hatte. Soeben war es seinem Adlatus gelungen, eine kleine Gruppe hinauszukomplimentieren, da stürmte schon der Nächste herein, dem Äußeren nach zu urteilen ein magerer Schreiberling, aber das war er mitnichten, vielmehr ein angesehener Kölner Bürger, den man nicht abweisen durfte. Jakob Hardevust, der Onkel des erleuchteten Knaben, die Tintenflecke noch an den Ärmelschonern, ließ sich nicht aufhalten. »Exzellenz!« Fast springend durchquerte er den großen Ratssaal, den der Bischof wegen des großen Andrangs als Empfangszimmer gewählt hatte. »Ihr müsst ihn aufhalten!« Flüchtig beugte er das Knie, noch flüchtiger hauchte er seinen Kuss über den Bischofsring.
Der Bischof war versucht, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, stattdessen seufzte er leise. »Mein Freund Hardevust, so beruhigt Euch doch und setzt Euch erst einmal.«
»Ich danke Euch, Exzellenz.«
Schnaufend und außer Atem folgte Jakob der Bitte des Bischofs. Dieser gab seinem Adlatus einen Wink, und für kurze Zeit waren sie allein. Auf den Mönch in der braunen Kutte, der im Schatten des Kamins stand, achtete niemand.
»Exzellenz!«, fuhr Jakob erregt fort, ohne die Redeerlaubnis des Bischofs abzuwarten, »die Umstände sind Euch bekannt. Was soll ich weiter dazu sagen? Ihr müsst dem Spuk ein Ende bereiten, sonst gibt es ein Unglück.«
Der Bischof nickte. »Ich weiß. Ein außergewöhnlicher Knabe, eine außergewöhnliche Situation. Das ist nicht so leicht zu entscheiden, wie Ihr glaubt.«
»Was ist daran schwer? Nehmt den Jungen in Gewahrsam. Steckt ihn in ein weit entferntes Kloster, wo er kein Unheil anrichten kann. Ihr werdet sehen, wie schnell sich seine angeblichen Anhänger verflüchtigen.«
»Aber die Meinung der Leute ist geteilt, mein lieber Hardevust. Ja, mehr noch, die Mehrheit der Bürger ist entflammt für diese Idee. Sie sagen, Gott selbst spricht zu dem Knaben, und das anzuzweifeln, wäre vielleicht vernünftig, aber nicht ratsam.«
»Das glaube ich nicht. Diese toll gewordenen Kinder haben doch auch Eltern, die sich um sie sorgen, oder nicht?«
Dietrich von Hengebach zupfte nachdenklich an seinem krausen Kinnbart. Der wohlhabende Herr von Hardevust verstand sicher etwas von seinen Geschäften und wusste, wie man preiswert einkaufte und teuer verkaufte. Doch offensichtlich hockte er zu oft in seiner Schreibstube und hatte keine Ahnung davon, wie es in der Welt wirklich zuging. Die Kölner Oberschicht sorgte sich durchaus um ihre Sprösslinge, doch in den Familien, wo der Kindersegen meistens Hunger und Elend bedeutete, wurde die Verblendung des Nachwuchses wie ein göttlicher Fingerzeig empfunden. Die Familien waren stolz, wenn auch aus ihrer Mitte ein Auserwählter auszog, um das Heilige Land zu befreien, was sonst nur Rittern vorbehalten war.
»Ja, Ihr seid nicht der Einzige, der sich Sorgen macht«, versuchte der Bischof zu beschwichtigen. »Mütter und Väter bestürmen mich, ich solle etwas unternehmen. Doch mir sind die Hände gebunden. Ich habe nicht darüber zu entscheiden, ob jemand ins Kloster geht, das bestimmen die Eltern, und in Eurem Fall, edler Hardevust, doch wohl Nicholas’ Vater.«
»Aber mein Bruder ist auf Reisen.«
»Hat er die Erziehungsvollmacht an Euch abgetreten?«
Jakob ballte die Fäuste. »Nein!« Dann fügte er grimmig hinzu: »Heinrich würde Nicholas ja noch bestärken in seinem Tun.«
Das sah von Hengebach genauso, denn er hatte den Kaufmann noch gut in Erinnerung, wie dieser ihn mit seiner Hartnäckigkeit wegen der Heiligsprechung seines Jungen erschöpft hatte. »Gewiss, da mögt Ihr recht haben. Und wer weiß, vielleicht wäre es richtig, die Kinder in ihre Schranken zu weisen; vielleicht liegt aber doch Gottes Segen auf ihnen. Glaubt mir, ich bete täglich um die Erleuchtung auf diese Frage.«
»Und sie wurde Euch nicht zuteil?«, wunderte sich Jakob. Ein Bischof, so sollte man meinen, besaß doch sicherlich das Ohr Gottes aus nächster Nähe.
»Gottes Wege sind manchmal nicht leicht zu erkennen. Er sagt nicht: ›Gehe hierhin oder dorthin.‹
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