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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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sind es von einem Ort zum andern.« Da hatte ich Mühe, meine Tränen zurückzuhalten. Denn – war nicht Samarkand von Buchara in sieben Tagen zu erreichen, selbst wenn man zu Fuß ging? Und hatte also Gott nicht nur seinet-, sondern auch meinetwegen unsere Begegnung herbeigeführt? »Wie recht hat euer Scheich!« rief ich aus. »Lasst mich mehr von seiner Weisheit hören! Nehmt mich mit, wenn ihr zu seinem Grabe pilgert!«
    Im Westen verblasste schon das Abendrot, und als wir das Tor von Brussa erreichten, sollte es gerade geschlossen werden. Doch der Wärter, der Ben Haschim kannte, trat ehrfurchtsvoll zur Seite und ließ uns ohne Bakschisch ein. Kaum hatten wir die Straßen der Stadt betreten, drang uns die Stimme des Muezzins entgegen, der die Gläubigen zum Abendgebet rief. Der Scheich beschleunigte seine Schritte, denn er wollte den Gottesdienst nicht versäumen. Seine Gefährten warteten schon auf ihn im Derwisch-Han. Kauerten in einer Ecke und sagten ohne Unterlass den Dhikr laut vor sich hin: La ilaha illa 'llah. Zwölf Gestalten zählte ich, alle in schmutzig grauen, zerschlissenen Gewändern, deren Fetzen nur notdürftig mit einem Gürtel um die Lenden zusammengehalten wurden. Als ihr Meister eintrat, verstummte einer nach dem andern und erhob sich. Wir gingen in die nächstgelegene Moschee. Der Gottesdienst hatte begonnen. Ich reihte mich ein und kam neben den Scheich zu stehen, was mir einen unfreundlichen Blick von einem seiner »Söhne« eintrug, der mir mit einem Ruck seinen Kopf voll zuwandte. Ich bemerkte, dass er nur ein Auge hatte. Das kniff er zusammen, und seine Lippen zuckten. Doch ließ er es dabei bewenden.
    Erst nach dem Gottesdienst stellte Ben Haschim mich seinen Gefährten vor und sagte, dass ich sie nach Baweddin begleiten wolle. Da musterte mich so manches Augenpaar. Ich dachte, es gälte meinem Äußeren. Denn so abgerissen meine Kleider auch waren, gab es doch unter den Derwischen manche, die noch zerlumpter aussahen als ich. Darum sagte ich:
    »Ihr seid nicht ärmer, als ich bin. Zwar komme ich aus dem Krieg gegen die Ungläubigen, doch habe ich keine Beute gemacht und mir auch vom Padischah kein unrechtes Gut aufdrängen lassen.«
    »Keine Beute?« fuhr mich der Einäugige an. »Nach einer gewonnenen Schlacht? Und da willst du mit uns? Ja, wovon willst du denn leben?«
    »Schäm dich, Jakub!« fuhr der Scheich ihn an. »Du hörst, dass el-Dschihadiri gegen die Ungläubigen gekämpft hat – da sollten wir uns sträuben, ihn bei uns aufzunehmen und unser Gut mit ihm zu teilen?«
    Ich erschrak in tiefster Seele. Wie hatte der Scheich mich genannt? El-Dschihadiri – Streiter im »Heiligen Krieg«? War das nicht gerade eine Ehre, nach der zu streben ich verabscheute? Wenn mir der Name nicht anhaften sollte, musste ich schleunigst einen andern sagen – nur welchen? Achmad Ben Kükülli nicht – auf dem lastete ein Odium! Zum Glück fiel mir ein, wie die Moslems den heiligen Georg nannten, und so sagte ich: »Dschirdschis heiße ich! Dschirdschis Ben Ischtwan al-Kuwa'iri.« Zu meiner Freude griff Ben Haschim den von mir gebildeten Namen sofort auf. »Dschirdschis«, sagte er, »das war doch jener Heilige, der dreimal vom Tode auferstanden
    ist.«
    Davon wusste ich nichts. Meine Mutter hatte mir vom heiligen Georg nur erzählt als dem Drachentöter, der die Jungfrau errettet hatte und später als Märtyrer enthauptet worden war.
    »Dreimal auferstanden?« fragte ich erstaunt. »Ja. Denn als der Henker des römischen Kaisers ihm das Haupt abgeschlagen hatte, sprang es auf den Rumpf zurück, und ein Baum entsproß der Stelle, auf die es gefallen war. Das zweite Mal fiel es auf ein Grab, und der Tote, der darin ruhte, erwachte und trat heraus. Das dritte Mal aber – denn immer wieder schlug der Henker zu – berührte das Haupt eine Säule, und Blumen sprossen aus dem kalten Marmor. Als das die Kaiserin sah, fiel sie auf die Knie und rief: ›Den Gott, den Dschirdschis verehrt, bete auch ich an.‹ Und wutentbrannt schrie der Kaiser: ›So schlage auch ihr das Haupt ab!‹
    Da flehte Dschirdschis: ›Barmherziger Gott, lass mich mit ihr sterben!‹, und sein Haupt fiel zum letzten Mal und regte sich nicht mehr. Aber die Sonne verlor ihren Schein und blieb verdunkelt drei Tage lang, und der Kaiser konnte nie wieder froh werden.«
    Wie seltsam es mich berührte, als ich den Scheich diese christliche Legende in ihrer islamischen Fassung erzählen hörte. Dreimal also war Dschirdschis

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