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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Heilung suchen. (Wo aber Kranke zusammenströmen, benötigt man dort nicht auch Ärzte?) Und nun stand ich vor den Toren dieser Stadt, von der ich schon so viel gehört hatte und in der ich keine Menschenseele kannte! Ehe ich sie betrat, kam ich an einem Friedhof vorbei, und unwillkürlich regte sich in mir das Gefühl, mit den Toten hier enger verbunden zu sein als mit den Lebenden. So lenkte ich meine Schritte an den Gräbern vorüber, und meine Gedanken verloren sich in den Weiten der Ewigkeit.
    Plötzlich erhob sich ein Windstoß, der ein nahendes Gewitter ankündigte. Ich suchte Schutz vor dem kommenden Regen und fand ihn in einer Türbe – einer jener prächtigen Grabkapellen, die die Türken ihren großen Toten zu erbauen pflegen. Kaum war ich eingetreten, prasselte der Wolkenbruch nieder, der mich mit einer dichten Wasserwand von der Außenwelt abschloss.
    In der Mitte des von einer Kuppel überwölbten Raumes stand der Sarkophag. Er war jedoch nicht, wie es bei den Sultanen und Emiren üblich ist, mit prachtvollen gold- und silberbestickten Behängen überdeckt, auf dem schlichten Sandstein lag bloß ein verschlungenes, vergilbtes und zerschlissenes Tuch, dessen Farbe kaum zu erkennen war – der Turban des Verstorbenen. Und auch die Wände ringsum waren nicht mit bunten Kacheln ausgelegt, sondern lediglich mit Koransprüchen bedeckt. So mochte wohl kein Fürst, sondern ein Heiliger hier begraben sein. Ich ließ mich zu Füßen des Sarkophags nieder, und der Genius Loci (wie die Römer sagen) erfüllte mich mit seinem Frieden.
    Sehr lange mag ich dort gesessen haben. In einem Zustand wie zwischen Traum und Tag. Die Bilder des Traumes konnte ich nicht festhalten, und schon gar nicht könnte ich sie nach so langer Zeit mir ins Gedächtnis zurückrufen, wohl aber den Zustand, mit dem sie sich erfüllten: dieses schwebende Schweigen, in das sich der Unnennbare dann hüllt, wenn er uns am nächsten ist.
    In dieses Schweigen hinein tickt kein Pulsschlag der Zeit – auch sie verstummt. Und so mögen Stunden verronnen sein, ehe ich innewurde, dass es aufgehört hatte zu regnen. Da hob ich den Kopf, den ich auf meine Arme gestützt hatte, und wollte aufstehn, als mich eine Stimme traf: »Hast du geschlafen, Sohn des Weges, oder meinst auch du, dass ein Gebet, dessen Worte nur still im Geist geformt werden, wirksamer sei als sein lautes Hersagen?« Ich war so in der Vorstellung befangen, in diesem Raume allein zu sein, dass ich im ersten Augenblick meinte, der Tote spräche zu mir aus seinem Sarg, was mich aber weder verwunderte noch erschreckte, wäre ich doch in meiner Seelenverfassung durchaus bereit gewesen, Gespräche mit Toten zu führen. Doch dann merkte ich, dass sich ganz in meiner Nähe ein Mann befand: in der gleichen Körperhaltung wie ich, angetan mit abgerissenen Kleidern gleich mir, die Füße in Sandalen steckend, nackt und bestaubt gleich den meinen. Das verwirrte mich so, dass ich nicht antworten konnte, sondern ihn nur betroffen anstarrte.
    Da fuhr er fort: »Wir Toren glauben, wir könnten mit unsern Gebeten Wirkungen erzielen. Wir glauben, das Gebet bestände darin, dass man Allah um etwas bittet. Wir wallfahren zu den Gräbern unserer Heiligen, damit sie unsere Fürsprecher seien, die Allah unsere Bitten vortragen und ihre Erhörung bewirken. Aber kommt nicht jede Bitte an den Allmächtigen und Allweisen einem Zweifel an seiner Barmherzigkeit gleich, da er ja wohl weiß, wessen wir bedürfen, und die Macht hat, es uns zu gewähren?« Er hatte leise, wenn auch sehr eindringlich gesprochen, doch plötzlich erhob sich seine Stimme so, dass sie von den Wänden widerhallte:
    »O mein Herr, wenn ich zu dir bete aus Furcht vor der Hölle, so verbrenne mich in der Hölle, und wenn ich dich anbete in der Hoffnung auf das Paradies, so verschließe mir die Pforte des Paradieses – wenn ich aber ganz aufgehe in meiner Liebe zu dir und meinem Verlangen nach dir, dann mache mit mir, was du willst.«
    Seltsam, wie sich die Gedanken dieses Mannes mit denen jenes Gesprächs berührten, das ich mit Doktor Salfini geführt hatte, als wir unseren Averroes übersetzten. Und gar so seltsam wiederum auch nicht, da das, was auf dem tiefsten Grund der Seelen schlummert, doch allen Menschen gemeinsam ist.
    Es dauerte eine lange Weile, bis wir uns aus den weiten Räumen unseres Gedankenfluges zurückfanden in das enge Geviert dieser Wände, die einen Toten bargen, und ich erfuhr, wer der sonderbare Mensch neben mir war.

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