Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
auferstanden? Und ich? Nun zum zweiten Mal? Ach, durch wie viele Tode würde ich noch zu gehen haben, bis es dem Erbarmer gefiel, mich ruhen zu lassen?
Aus diesem Wachtraum riss mich die Frage des Einäugigen. »Und wie viele Christenhunde hast du erschlagen?« »Keinen«, antwortete ich wahrheitsgetreu. »Ich bin als Arzt dabei gewesen, nicht als Kämpfer. Aber ich habe vielen der Unsern das Leben gerettet.«
Wieder kam Ben Haschim mir zu Hilfe. Denn als sich der Mund des Einäugigen spöttisch verzog, sagte er: »Kannst du wissen, Jakub, ob du nicht eines Tages froh sein wirst, einen Arzt bei dir zu haben?«
»Brauch keinen Arzt! Hab Gesundheitsstaub genug und Wasser vom heiligen Brunnen Zamzam!« Da machte der Scheich eine Handbewegung, und er verstummte. Ja, das war ihr Vermögen, und sie trugen es in Beuteln an ihren Hälsen. Den Gesundheitsstaub hatten sie in den Räumen des Hauses zusammengescharrt, das der Prophet in Medina bewohnt hatte, das Wasser aus dem Brunnen geschöpft, den der Engel Gabriel in der Wüste hatte aufquellen lassen, um Hagar und Ismail vor dem Verdursten zu retten. Es war, wie sich herausstellte, kein geringes Vermögen, denn wohin immer wir kamen, wurden wir von Menschen umringt, die von dem Staub und von dem Wasser haben wollten, damit es ihnen helfe gegen Krankheiten aller Art. Die Derwische teilten es willig aus, verlangten auch kein Geld dafür, doch ließen die Leute es sich nicht nehmen, sie reichlich zu beschenken.
Auf diese Art wären meine Freunde ihre Schätze schnell losgeworden; doch sobald die Beutel und Fläschchen halb geleert waren, wurden sie wieder aufgefüllt und kräftig durchgeschüttelt; denn die Pilger waren davon überzeugt, dass, solange auch nur ein Körnchen des Heiligen Staubes, ein Tropfen des Zamzam-Wassers vorhanden war, alle andern Körnchen und Tröpfchen davon geheiligt und wirksam gemacht würden. Sie handelten also im besten Glauben, und der Quell ihrer Einnahmen versiegte nie. Über den Dhikr hatte die Schar sich geeinigt. Während des Wanderns sang man ihn laut vor sich hin, und ich tat kräftig mit, denn es war mir ein Bedürfnis, mich ganz einzureihen in die Gemeinschaft derer, die alles mit mir teilten. Außerdem marschiert es sich singend ja auch besser. Doch wenn wir die nächste Herberge erreichten, ließen wir uns am Boden nieder und bewegten kaum die Lippen, denn dann blühte der Dhikr in unsern Herzen auf, wie unser Scheich sagte, und brachte alle unsere Nöte und Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche zum Schweigen. Und Gott, der sie kannte, nahm sie in sein großes, schweigendes Schöpfertum auf. Und – so seltsam es klingen mag – in diesen Stunden, mitten unter den gläubigsten Anhängern Muhammads, habe ich ... Christus erlebt.
Ja Christus! Freilich nicht, wie die Theologen ihn lehren, sondern so, wie er sich selbst bezeugt, wenn wir ihm Einlass gewähren in unsere Herzen. Und es lag ihm völlig fern, mir zu bedeuten, dass ich die Moslems gering achten oder gar befeinden solle, nein: »Hilf ihnen, dass sie mich auf ihrem Wege finden, so wie du mich auf dem deinen gefunden hast«, hörte ich ihn sagen. Und mit einem Mal sah ich, dass alles eines war – ein Ganzes, nicht zersplittert in tausend Teile, die sich in Frage stellen und sich befehden, nein, ineinandergefügt aus tausend Teilen, die sich bedingen, ergänzen und ohne einander nicht wären. Feindschaft? Erkennst du nicht in jedem Gegenüber den Teil deiner selbst? Und fühlst du nicht, dass du alles, was du ihm antust, dir selbst antust?
»Ja, mein Kind«, hörte ich Gurams Stimme in mir sprechen, »das war es auch, was ich erkannte, als sich meine Seele im Hassen erschöpft hatte und ich es nicht mehr tragen konnte!«
Der Scheich hatte mir einen Platz neben sich angewiesen, doch ich merkte, dass der Einäugige mir ihn neidete. Darum bat ich Ben Haschim, als ich allein mit ihm war, mir zu erlauben, dass ich meinen Platz mit Jakub tausche. Da sagte er: »Ich fühle, dass Allah heute deine Seele von deinem Ich befreit hat. Nun möchtest du deine Freiheit besiegeln, indem du den Ehrenplatz räumst, den ich dir anwies. Das ist recht so. Doch sollst du ihn nicht mit Jakub tauschen, sondern mit Anas. Denn Jakub fühlt sich in seiner Eitelkeit gekränkt, und wenn wir darauf Rücksicht nehmen, bestärken wir ihn in ihr. Darum setze du dich neben ihn an Anas Statt, vielleicht hilft dir Allah, ihn auf den Flügeln deines Dhikr mit zu erheben. Habe Mitleid mit dem Schwachen und
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