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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Er hieß Ben Haschim und war der Scheich einer Derwischbruderschaft, die sich auf einer Pilgerreise befand. Entsprechend den Geboten des Korans hatten die Männer die heiligen Stätten in Mekka und Medina besucht, wollten aber nicht nach Hause zurückkehren, ehe sie nicht auch an den Gräbern der Heiligen ihres eigenen Ordens gebetet hätten. Und so waren sie über Jerusalem und Damaskus nach Brussa gekommen, wo Hamid Ben Abdalah, der Lieblingsschüler des Begründers ihres Ordens, bestattet liegt, ein Mann, von dem viele Wunder überliefert sind, sodass er als ein Fürsprecher bei Allah gilt. Aus diesem Grunde auch hatte Ben Haschim sein Grab aufgesucht, denn es waren Meinungsverschiedenheiten aufgekommen zwischen seinen Brüdern und ihm, die ihn stark beunruhigten. Einige der Derwische nämlich waren der Ansicht, dass der Dhikr, dieses tägliche Lob- und Dankgebet, laut gesprochen werden müsse, während doch der Begründer des Ordens, der heilige Scheich Beha'eddin en Nakschbendi selbst, die Offenbarung gehabt hatte, dass man seine Worte nur in stiller Versenkung im Herzen bewegen solle.
    »Und deshalb«, sagte Ben Haschim, »gab es Streit zwischen uns, und wir sind im Begriff, uns zu trennen.« Er seufzte tief, und es dauerte eine Weile, ehe er seine Rede fortsetzte. »Als ich das erkannt hatte, war mir zumute, als sollte ich selbst mitten durchgeschnitten werden. Ich fühlte deutlich: Wenn Menschen sich entzweien, gleichen sie den Sündern, die Allahs Einheit leugnen. Denn jede Gemeinschaft wird nur dadurch zusammengehalten, dass die Menschen diese Einheit als das allein Wirkliche begreifen, das eigene ich aber als das Unwesentliche erkennen. Wenn sie sich der Unzulänglichkeit ihres Handelns bewusst werden und den eigenen Willen aufgeben, können sie den Weg zur Einheit mit Allah und damit auch mit ihren Gefährten finden. Deshalb kam ich hierher, den Heiligen anzuflehen, dass er durch seine Vermittlung den Brüdern das Herz öffne für die Anbetung in der Stille, wie sie von unserm Stifter überliefert ist. Dann störte mich dein Kommen auf. Ich spürte deutlich, dass meine innere Kraft nachließ und ich leer wurde wie ein ausgeronnener Wassersack.
    Du setztest dich nicht weit von mir nieder und beachtetest mich nicht. Das ärgerte mich noch mehr, und mein Gebet wurde durch diesen Ärger völlig erdrosselt. Hätte es nicht draußen in Strömen geregnet, wäre ich aufgestanden und davongegangen. So aber kam ich mir vor wie ein an Armen und Beinen Gefesselter.
    Und dann muss von dir eine Kraft ausgegangen sein, die mich verwandelte. Denn nachdem ich aufgehört hatte, Allah und den Heiligen mit meinen Gebeten zu bestürmen, wurde es still und immer stiller in mir, bis die Stille selber zu tönen begann, und ich erkannte, dass wir uns durch unsere Wünsche den Weg zu Allah verbauen, gleichviel, ob wir sie laut vorbringen oder nur leise. Also, du Sohn der Fremde, hat Allah dich mir geschickt, um mir die Torheit, in der ich befangen war, klarzumachen und mich von meinem Irrweg auf den rechten Pfad zurückzuführen.«
    Seine Worte ergriffen mich. Ich konnte nicht gleich eine Erwiderung finden, aber unsere Blicke begegneten sich und hielten sich lange fest. Schließlich sagte er: »Wir sollten beisammenbleiben. Sieh, der Heilige, an dessen Grab wir stehen und dessen Schüler ich einst gewesen bin, hat mir ein Wort des Scheichs Nakschbendi mit auf den Weg gegeben, das lautet: ›Wenn dich der sufische Pfad, auf dem du wandelst, mit einem Menschen zusammenführt, von dem du geistlichen und sittlichen Gewinn erfährst, so verlasse ihn nicht, sondern beherzige das Wort des Propheten (gepriesen sei er!): Du hast es richtig getroffen, also halte dich auch daran.«
    Es fiel mir schwer, etwas darauf zu erwidern. Wusste ich denn, was für Menschen das waren, denen ich mich anschließen sollte, wusste ich, in was für Abenteuer ich mich mit ihnen einließe?
    Ben Haschim las mir wohl meine Bedenken von der Stirne ab, denn er sagte: »Wir pilgern nun nach Baweddin, zum Grabe unseres Scheichs Naqschbandi selbst. Komm mit uns, es wird dich nicht gereuen.«
    Baweddin. Mir war, als bräche dieser Name eine längst verschüttet gewesene Kammer meines Gedächtnisses auf. War das nicht der Ort, an dem wir auf der Flucht übernachtet hatten, ehe wir die Wüste durchquerten? Also konnte er nicht weit von Buchara entfernt liegen! Mein Atem stockte fast, als ich das fragte. Er antwortete: »Ganz recht, Sohn meines Herzens, zwei Wegstunden

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