Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
meinen Fuß nie mehr von dieser gesegneten Erde zu nehmen. Und als ich erst das tschagataische Türkisch, als ich Persisch, das hier so ganz anders klingt als im Iran, ja sogar Georgisch vernahm, wusste ich, dass ich endlich zu Hause war.
In Buchara wurden wir stürmisch begrüßt. Denn hier war das Stammland des Ordens, und die Brüder konnten sich nicht genugtun mit Segenswünschen, Küssen und Umarmungen. Auch brauchten wir zum Grabe des heiligen Naqsch-bendi nicht zu Fuß gehen: Hunderte von Eseln standen bereit, die Pilger – durchaus nicht nur Derwische – hinzubringen, die vom äußersten Osten bis zum entferntesten Westen hier zusammenströmten.
Das Treiben auf der Straße war dementsprechend lebhaft. Die Esel trabten munter voran, und die Pilger ließen ihre Stimmen in Wechselgesängen erschallen. Um so mehr staunte ich, als wir einem Gegenzug von Derwischen begegneten, die ihre Tiere, da sie nicht vorwärts wollten, mit Stockschlägen antrieben. »Das ist das Wunder des heiligen Naqschbandi«, erklärte man uns. »Weil er die Tiere so liebte, zieht er sie alle zu ihm hin, und sie wollen nicht wieder zurück.«
»Dann sollten die Derwische lieber zu Fuß gehn, als die Geschöpfe quälen, die ihrem Meister so anhänglich sind«, meinte Ben Haschim. Man sah ihn verständnislos an und erwiderte nichts.
Unser Aufenthalt in Baweddin dauerte drei Tage, denn die Brüder konnten sich von dieser heiligen Stätte kaum trennen. Zu meinem Glück schickte Muhammad Parsa, der oberste Scheich der Derwische von Buchara, einen Boten zu Ben Haschim, um ihn zu einer Unterredung zu bitten. Und dieser Bote war, wir trauten unsern Augen nicht, kein anderer als unser Jakub.
»Jakub, wo kommst du her? Bist du uns gefolgt? Willst du wieder bei uns bleiben?« »Gefolgt? Ich bin schon längst in Buchara.« »Längst in Buchara? Ja, hast du denn den kurzen Weg durch die Wüste genommen? Hast du keine Angst vor den Ösbegen gehabt?«
»Angst? Ein rechter Derwisch fürchtet sich nicht vor dem gesteinigten Schaitan und sollte sich vor Räuberhorden fürchten? Aber bei euch bleiben? Nur, wenn ihr bei mir bleibt.«
Herausfordernd sah er unsern Scheich an. Der trat auf ihn zu. »Ich habe Angst um dich gehabt, mein Sohn«, sagte er, »aber nicht wegen der Räuber.« Und er zog ihn an sich. Dann wanderten wir in die Stadt zurück, dieses Mal zu Fuß, was die Eseltreiber wegen des Verdienstausfalls nicht wenig verdross. Nur Jakub wollte nicht mit uns gehn. »Ich reite voraus«, sagte er, »muss euch ja anmelden bei Muhammad Parsa!« Und sonderbar: Sein Esel trabte willig zurück, so dass wir ihn bald aus den Augen verloren. In Buchara angekommen, trennte ich mich von meinen Gefährten, um in die Medrese zu gehn. Sie liegt unweit des Derwisch-Hans, inmitten der Stadt. Ich warf einen Blick durch das Gitter, und mir war, als fielen zwanzig Jahre meines Lebens von mir ab. Genau das gleiche Bild hatte ich vor Augen wie damals in Samarkand: das Viereck des Hofes, die Männer, die teils in Gruppen beisammenstanden, teils allein oder in Paaren auf und ab schritten, teils auf den von Weinlaub beschatteten Bänken saßen. Ihre Gespräche fingen sich in meinen Ohren wie ein einziges eintöniges Geräusch. Die Stockwerke mit ihren Galerien zogen sich um diesen Hof und friedeten ihn von allen Seiten ein, und die Minarette ragten wie Wachttürme hoch über ihre Mauern. Ja, selbst die Storchennester darauf fehlten nicht und nicht die Vögel, die fast bewegungslos auf einem Bein standen und aussahen, als wären sie von den Menschen zu Wächtern bestellt und sich der Würde ihres Amtes bewusst.
Damals war ich ein junger Student gewesen – nun würde ich ein alter sein. Was macht das aus? Männer mit grauen Barten waren hier unter den Schülern ja keine Seltenheit. In Buchara freilich wollte ich mich nicht festsetzen. Nur einmal die Luft hier einatmen, diese kühle Medresenluft, der selbst der glühendste Sonnenbrand nichts anhaben kann, weil die ellendicken Mauern ihn wie ein Panzer abwehren.
Langsam schritt ich durch den Hof und ging von Nische zu Nische. In der einen wurde Ilm vorgetragen, die Rechtsgelehrsamkeit, die sich auf den Koran stützt, in der andern die Hadithe erläutert, diese Tausende von Prophetenaussprüchen, die nicht im Koran stehen, jedoch von glaubwürdigen Zeugen überliefert sind. Und schließlich in der Dritten das Schwierigste von allem: Fikh, eine Wissenschaft, in der jeder Richter bewandert sein muss, weil es Rechtsfälle
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