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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Moslem im Gebet seinem Gott gegenüber einnimmt! Aber zum ersten Mal, seit ich das christliche Heer verlassen hatte, erhob sich in meinem Herzen die Frage: »Was nun?«
    Sie berührte mich so, dass ich erschrocken aufsprang. Ich trat aus dem Kreis der Liegenden, lehnte mich an den Stamm einer Zypresse, die in der Nähe stand, und blickte in die Runde. Immer noch tobte das Meer, und der Donner seiner Brandung drang bis zu mir herüber, während die Rufe der Beter allmählich verstummten.
    Da lagen sie und dankten ihrem Gott für die Rettung und den errungenen Sieg. Wie lange würde es dauern, bis sie zu neuen Feldzügen aufbrächen, zu den unzähligen »Heiligen Kriegen«, in denen getötet und gestorben wird, als ob Gott sein Wohlgefallen daran hätte. Und ich sollte bei ihnen bleiben? Als sich mir diese Frage stellte, trat ich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Also fort! Man würde mich kaum vermissen. Mit keinem von all den vielen Männern, die um mich gewesen waren, hatte ich nähere Verbindung angeknüpft. Nicht einmal meinen Namen hatte ich angeben müssen, war allgemein nur mit »Hakim«, bezeichnet worden, mit »Arzt«. Nun, sie würden einen andern finden.
    Das Gelände war bergig. So konnte ich mich ihren Blicken schnell und leicht entziehen. Und es wird mich auch kaum einer vermisst haben.
    Wie lange ich gewandert bin – ziellos gewandert, wohin mich meine Füße trugen –, weiß ich auch nicht mehr. Es kam wie ein Rausch über mich: gänzlich unbeschwert zu sein, nicht das kleinste Bündel Habseligkeiten mit mir zu schleppen, keine Pläne zu haben und folglich auch keinerlei Angst vor Fehlschlägen und Enttäuschungen, nicht zu sorgen um das Essen, das Trinken, das Kleiden; den Vögeln unter dem Himmel, den Lilien auf dem Felde gleich. Die Brunnen am Wege stillten meinen Durst, und wenn ich hungrig war, klopfte ich an eine Tür und bat um ein Stück Brot. Es wurde mir fast niemals verweigert, im Gegenteil, oft wurde ich hereingerufen, und gute Menschen teilten ihr Essen mit mir. Wäre Sommer gewesen, ich hätte die halbe Welt so durchwandern mögen, lauschend auf all die Stimmen, die dem Schreitenden entgegentönen und ihm nachhallen. Aber schon bald ging der Regen in Schnee über, der Wind pfiff eisig, und ich blieb hängen in einer einsam gelegenen Mühle, in der ein Sterbender lag.
    Als Arzt konnte ich ihm nicht mehr helfen, aber ich konnte an seinem Lager die Worte aus der Sure »Die Spinne« hersagen: »Jede Seele muss den Tod schmecken, danach aber kehrt sie zu mir zurück. Und diejenigen, welche glauben und das Rechte tun, wahrlich, wir wollen ihnen Wohnung geben in Gärten, durcheilt von Bächen, ewig darin zu verweilen.«
    Ich sah, wie in seine Augen ein Glanz trat bei diesen Worten, die er gar nicht verstand - denn er sprach nur türkisch und nicht arabisch -, und dennoch bildeten sie eine Brücke für ihn, die es ihm leichter machte, den Weg über den Abgrund des Todes zu finden.
    Der Müller tat mir leid. Er war noch jung, sein Weib stand kurz vor ihrer ersten Entbindung, und er hatte außer einer schon bejahrten Magd nun gar keine Hilfe mehr, nachdem ihm der Knecht gestorben war. So griff ich, ohne viele Worte zu verlieren, mit zu, half auch der jungen Frau, deren Blutungen nach der Geburt kaum zu stillen waren, wieder zu Kräften zu kommen, und wanderte erst im Frühjahr weiter. Der Abschied von diesen guten Menschen fiel mir schwer – aber hätte ich bis zu meinem Lebensende bei ihnen bleiben können?
    Am Abend des Tages, an dem ich die Mühle verlassen hatte, überschritt ich ein Gebirge, und bald bot sich mir ein bezaubernder Anblick: Auf steilem, fast senkrecht abgeschnittenem Felsen eine mauerumgürtete Burg, um die sich Häuser und Gärten scharten, allerorts von Medresen und Moscheen überragt. Besonders augenfällig die eine: Nicht weniger als zwanzig Kuppeln zählte ich, zu deren Seiten sich zwei hohe schlanke Minarette in den Himmel reckten. Wenn mich nicht alles täuschte, musste das Ole Dschami sein, »die Prächtige«, das berühmte Gotteshaus, das der Sultan Murad, der erste dieses Namens, hatte erbauen lassen, ehe er Adrianopel eroberte und die Hauptstadt seines Reiches von Brussa dorthin verlegte. Und also war es Brussa, das zu meinen Füßen lag. Brussa, das berühmt ist durch den Reichtum seiner Kaufleute und die Gelehrsamkeit seiner Mollahs, aber auch durch seine heißen Quellen, deren Wasser so große Heilkraft besitzt, dass die Kranken von weit her dort ihre

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