Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
deshalb keines mit seinen Schwächen.«
Woher wusste er, was mich erfüllte? Trug er uns alle auf den Flügeln seines Dhikr? Und würde meine Kraft ausreichen, um Jakub zu helfen?
Nun, ich versuchte es, doch es gelang mir nicht. Im Gegenteil, als der Einäugige merkte, dass nun auch Anas ihm vorgezogen wurde, verstockte er sich so sehr, dass selbst ich leer wurde neben ihm und aufatmete, als er eines Tages verschwunden war.
Aber zu früh. Denn plötzlich ergriff mich eine große Bangigkeit. War ich nicht schuldig geworden an einer Seele, die nun wohl in die Irre ging? Ich klagte meine Not dem Scheich, doch auch er konnte nicht helfen. »Es liegt nicht in unserer Hand«, sagte er. »Wir erkennen das Licht, aber wir können es nicht entzünden.« Und nach einer Weile: »Die Flügel des Dhikr heben die Last der Welt. Aber ein Staubkorn kann sie zu Boden drücken. Wer das nicht versteht, dem kann man es auch nicht erklären.« Da wusste ich, dass er litt gleich mir.
So wanderten wir dahin. Sorgen um unser leibliches Wohl kannten wir nicht. Kein noch so kleines Dorf, das ohne Derwisch-Han gewesen wäre, wo wir unentgeltlich Unterkunft fanden, keine noch so arme Gegend, wo uns die Menschen nicht mit dem Besten, was sie hatten, bewirteten. Schwierig wurde es erst, als wir das Fruchtland verlassen und durch die Wüste wandern mussten. Was eine Wüstenwanderung war, hatte ich ja schon einmal erlebt. Doch damals war sie verhältnismäßig kurz gewesen, denn es gibt einen Weg, auf dem man von Buchara nach Tus in wenigen Tagen gelangt, und den hatten wir genommen. Dieses Mal aber war er uns versperrt. Nomadisierende Ösbegen machten ihn unsicher, die auf ihren schnellen Pferden die Karawanen überfielen.
»Nun«, meinte unser Scheich, als er davon erfuhr, »an Pilgern und Derwischen werden sie sich kaum vergreifen.« »Das denkt ihr! Aber diese Räuber kennen ja weder Gottesfurcht noch Mitleid. Vor Kurzem erst ist einer ihrer Anführer gefangen genommen und vor den Kasi gebracht worden, weil er einen Pilgerzug überfallen und die frommen Männer in die Sklaverei verkauft hatte, und als er sich verantworten sollte, sagte er: ›Was behauptet ihr? Verboten wäre der Überfall auf Karawanen, die durch unser Gebiet ziehen? Und wovon sollen wir leben?‹«
Wir mussten also einen großen Bogen nach Norden schlagen und in das gnadenlose Sandmeer einbiegen, dessen Überquerung Wochen dauert, so dass es nur mit Kamelen zu überwinden ist und man keine feindlichen Reiter zu befürchten hat. Für mich hieß das auch, dass ich nicht am Grabe meiner Mutter vorbeikommen würde. Doch das Kreuz, das mein Vater darauf errichtet hatte, lag sicherlich längst schon verschüttet unter dem Sande, und die Ruinen, in deren Schutz wir die letzte Rast vor ihrem Tode gehalten hatten, konnten mir auch nur die Richtung andeuten, in der es zu finden wäre, und nicht seine Stelle. Ach Mutter – und was ist ein Grab?
Wir mieteten also ortskundige Führer und Kamele, beluden diese mit Proviant (der in der Hauptsache aus Wasser bestand, das wir in großen ledernen Schläuchen mit uns führten), und dann bestiegen wir die Tiere und schaukelten auf ihren Rücken über die sichelförmigen Barkane, diese Wellen des Sandmeeres.
Ich will die Beschwerden einer Wüstenwanderung hier nicht beschreiben, man könnte allein damit ganze Bücher füllen. Tagelang nichts als der tote Sand zu deinen Füßen, nächtelang nichts als die wandernden Gestirne über dir. Und du weißt nicht, was schwerer zu ertragen ist: die Hitze des Tages oder die Kälte der Nacht, die Windstille, die die Hitze zur Höllenglut werden lässt, oder der scharfe Luftzug, der dir den Sand in Rachen und Nase bläst und dir das Atmen zur Qual macht.
Als wir dieses Reich des tausendfachen Todes durchquert hatten, war unser Wasser aufgebraucht bis zum letzten Tropfen. Unsere Lippen waren gesprungen, unsere Augen vom Flugsand entzündet, zwei der Kamele hatten wir schlachten müssen – aber wir waren am Leben geblieben! Und das Fruchtland lag vor uns: Granatbäume, deren Äpfel sich schon rötlich färbten, Rebenhügel, an denen Trauben reiften, Melonenfelder, deren Früchte schon reif waren! Die man aufschneiden und verzehren konnte, und die nicht nur unsern Hunger stillten, sondern auch den Durst löschten – den Durst, diese teuflischste aller Qualen. Und dann das Wasser! Das fließende, lebendige Wasser! Als ich den ersten Schluck davon durch meine Kehle rinnen fühlte, schwor ich mir,
Weitere Kostenlose Bücher