Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Gerechtigkeitssinn unseres guten Herrschers (dem Allah seinen höchsten Segen schenke!) nicht zulassen, dass du dafür büßen musst. Sollte aber auch dein Vater das Opfer einer Verleumdung sein, so kannst du ihn vielleicht retten. Darum geh hin und frage, wessen man ihn anklagt.«
Diese Worte machten sichtlich Eindruck auf Ulug Beg. Er strich sich über den Bart, und seine Züge hellten sich auf. Gleich aber flog auch wieder ein Schatten über sein Gesicht, er zog ein Schriftstück aus seinem weiten Ärmel, reichte es mir herüber und sagte:
»Lies!«
Und ich las:
»Wenn mein Herr die Schmach nicht vergessen hat, die ihm angetan wurde, so wird er auch daran denken, dass der Blitz die höchsten Bäume am ehesten fällt. Allah lenkt die Blitze, aber auch die Herzen der Menschen. Dieses schreibt meinem Herrn sein treuester Diener, dessen Ergebenheit unwandelbar ist. Wann immer mein Herr meine Dienste benötigt, lasse er es mich wissen, und die Eile, mit der ich seine Befehle ausführe, wird der Ergebenheit meines Herzens würdig sein.«
Ich hatte gelesen, meine Hand krampfte sich um das Papier. Diese Worte waren so dunkel, dass ich ihren Sinn nicht erfasste und nur die Drohung fühlte, die darin lag.
Ulug Beg las lange in meinem Gesicht, aber meine Miene hatte nichts zu verbergen.
»Weißt du auch«, fragte er endlich, »in wessen Händen man dieses Schriftstück fand?« Und als ich nur fassungslos eine Gebärde des Verneinens machte: »In denen deines Vaters! Und gerichtet ist es an Scheich Malik, den mein Vater als Statthalter von Choresm eingesetzt hat.«
Nun ging mir ein Licht auf.
War nicht Nur-ed-Din erdolcht worden auf Veranlassung dieses Scheichs Malik, und zwar von einem Milchbruder des Ben Nisam, der ebenfalls seine Hände in dem schmutzigen Spiel gehabt hatte? Und war nicht Scheich Malik daraufhin der Vormundschaft über Ulug Beg enthoben worden?
»Herr«, entgegnete ich, »dann wird das Schreiben von keinem andern verfasst worden sein als von dem Vorgesetzten meines Vaters, der ihn sicherlich auch beauftragt hat, den Brief zu befördern.«
»Dasselbe behauptet dein Vater auch. Und dass Ben Nisam es leugnet, hat nichts zu bedeuten. Aber die Schrift des Briefes ist nicht seine Schrift und auch nicht die eines seiner Schreiber. Und Ben Nisam verschwört sich, dass du, Achmad, es geschrieben habest, und er brachte zum Beweis eines deiner alten Schulhefte her – und nun vergleich selber!«
Das Heft lag griffbereit auf seinem Kissen. Ich nahm es, legte den Brief daneben, und es wurde mir schwarz vor Augen.
Eine Weile mochte ich hineingestarrt haben, und ich fühlte, dass Ulug Begs Augen auf mir ruhten, doch verriet er keine Ungeduld. Aber plötzlich zuckte ich zusammen, denn eine rasende Freude hatte mich ergriffen.
»Hier, Herr!« rief ich, lauter, als es gestattet war, dämpfte aber gleich darauf meine Stimme. »Allen Buchstaben, die am Anfang eines Wortes stehen, hat der Fälscher denselben Schlenkrich gegeben wie denen, die mit einem vorhergehenden Zeichen verbunden sind. Hier beim Schin. Hier beim Nun. Hier beim Dad. Ich mache das nicht, Herr. Das kann nur Abbas gewesen sein. Der dumme Kerl hat das ja nie begriffen. Er muss meine Schrift nachgeäfft haben.« Ulug Beg nahm mir die Schriftstücke aus der Hand und prüfte sie lange. Dann sagte er: »Es wird sich herausstellen, ob du recht hast, wenn wir Abbas Schulhefte danebenhalten.
Aber« – und hier hielt er inne und sah mich traurig an «auch das rettet euch nicht, wenn ihr euch nicht noch von einem andern Vorwurf reinwaschen könnt. Als Ben Nisam von deinem Vater beschuldigt wurde, schwor er beim Bart des Propheten, dass er von dem Brief nichts wisse, und rief aus: ›Man glaube doch mir, einem Moslem, und nicht diesem verschlagenen Hund, der sich für einen Gläubigen ausgibt und heimlich seinen Sohn von einem Christenmönch belehren ließ, den Koran zu verspotten und Allah einen Sohn an die Seite zu setzen!‹ Nun sage mir, ob das wahr ist! Sage mir, ob du ein Abtrünniger bist oder ein Moslem.«
Wer hatte mich verraten?
Das konnte nur Abbas gewesen sein, der in unserm Haus herumgeschnüffelt hatte, wenn er mich besuchen kam. Vielleicht freilich hatte auch ich einmal eine unbedachte Äußerung getan – wer wägt denn jedes Wort auf der Zunge, wenn er mit einem Freund spricht? Und dann, als ich ihn überflügelt hatte, war seine Anhänglichkeit in Eifersucht, seine Freundschaft in Feindschaft umgeschlagen. Das wusste ich schon seit
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