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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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sich in der Behandlung übereilen, denn die Arznei kann in der Hand des Unwissenden zu tödlichem Gift werden, wenn er davon über das Maß oder zu unrechter Zeit verordnet – während das Gift bei Klugheit des Arztes und richtiger Verordnung für den Kranken zum Wasser des Lebens wird.« Und ich sah sie vor mir, die Leidenden mit ihren Gebresten, ihren Schmerzen, ihren Fieberträumen, ihren Lebenshoffnungen, ihrer Todesangst. Und ich blickte zu Boden und schwieg.
    So änderte sich nach Gurams Tod nichts in meinem Leben. Unterricht und Krankenbesuche unter der Leitung unseres Scheichs nahmen ihren gewohnten Fortgang, Ibads Sticheleien prallten von mir ab (oder hatten sie ihre Schärfe verloren? Hatte Karib etwa ihm eine Warnung zugesteckt?), Karib verhielt sich mir gegenüber völlig unbefangen, so als hätte es niemals eine morsche Bank unter einem verkümmerten Holunderbusch gegeben, er machte weder Annäherungsversuche noch zeigte er sich abweisend und gekränkt, sodass unsere Gespräche bald wieder in den ausgetretenen Bahnen des Gewöhnlichen laufen konnten, als wäre nichts geschehen.
    Auch zu Hause ging alles seinen gewohnten Gang. Zwischen Vater und Mutter fiel kein lautes Wort, die Dienerschaft war beflissen im Verrichten der täglichen Obliegenheiten, Tirsad ging seinen Geschäften und seiner Arbeit nach, der Vater wurde immer noch zu Ben Nisams Gastereien eingeladen, und wenn er selbst Besuche empfing, dröhnten die lauten Stimmen der Männer, ihre Gespräche, ihr Gelächter aus den ihnen vorbehaltenen Räumen herüber wie eh und je.
    Warum nur – warum schien mir alles wie auf eine unheimliche Art verwandelt? Ibads Gehässigkeit größer, je weniger er sie äußerte? Karibs Werben um meine Freundschaft gefährlicher, je mehr er seine Blicke im Zaum hielt? Zwischen Vater und Mutter kein lautes Wort – ja, aber blieben nicht auch die leisen des heimlichen Einvernehmens aus? Und der Vater? Lachte er wie sonst? Sprach er mit mir wie sonst? Oder wich er meinen Blicken aus, meinen Fragen?
    Doch vielleicht war es gar nicht meine Umgebung, die sich gewandelt hatte, sondern einzig und allein ich selber? Was war es denn, das mich so quälte, dass mir sogar die altgewohnte Ordnung in unserm Hause wie leblos erschien? (Niemals änderte sich auch nur die Lage eines Möbelstückes, eines Teppichs, eines Kissens! Nur die Platane in unserm Hof fing an, ihre Blätter zu verlieren, und der Rosenstrauch ließ seine letzten Blüten verkümmern, sodass man merkte: Die Zeit steht nicht still!)
    Und ging der Vater mir aus dem Weg, oder nicht vielmehr ich ihm? Ich vergrub mich in meine Studien, bis ich ihrer überdrüssig war. Ich trieb mich in den Ställen herum, ließ mich aber auch dort ungern von ihm sehen und flüchtete, sobald ich seine Stimme vernahm, wie unter dem Zwang eines bösen Gewissens in Tirsads Werkstatt. Dort konnte ich stundenlang hocken, ohne ein Wort zu verlieren. Und nur wenn ich zusah, wie unter den geschickten Händen des jungen Meisters ein Kunstwerk nach dem andern entstand, fühlte ich mich auf seltsame Art beruhigt.
    Eines Tages saß ich in der Medrese, hielt ein Heft auf dem Schoß und machte eine Eintragung, die Mulana Nafiz uns diktierte. Da betrat Omar, der Reitknecht meines Vaters, der mir von allen der liebste war, den Raum. Es ging mir durch und durch, als ich ihn sah: Seine Kleider waren staubig, seine Filzmütze hatte sich verschoben, sodass das schwarze Haar wirr und struppig darunter hervorsah – und in seinem Gesicht stand der Schrecken.
    Er wandte sich aber gar nicht nach mir um, sondern trat auf den Lehrer zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Worauf Mulana Nafiz, um einen Ton blasser im Gesicht als sonst, mit einer Kopfbewegung andeutete, dass er verstanden hatte. Und der Knecht entfernte sich, ohne auch nur einen Blick auf mich zu werfen. So wusste außer mir und unserm Scheich niemand, dass sein Besuch mir gegolten hatte.
    Mulana Nafiz brachte dann mit unbewegter Stimme sein Diktat zu Ende. Und ich schrieb nach, aber völlig gedankenlos, ohne einen Sinn zu erfassen. Wichtig war lediglich, dass mein Schreibrohr ohne Unterbrechung übers Papier glitt. Eine Ewigkeit lang ging das so.
    Dann raschelten die Papiere meiner Nachbarn, woran ich erkannte, dass der Scheich aufgehört hatte zu diktieren. Ich hielt ebenfalls inne, ohne mich jedoch mit dem Zusammenpacken meines Schreibzeuges zu beeilen, sodass ich der Letzte war, der den Raum verließ. Mulana Nafiz stand am Ausgang. Ich drängte

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