Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Langem. Aber dass er mir auch schaden, ja mich in tödliche Bedrohung stoßen würde, das hätte ich nicht von ihm erwartet.
Denn diese Beschuldigung wog ja nicht weniger schwer als die Erste. Wohl darf ein Christ in muselmanischen Ländern leben, ohne seinem Glauben abschwören zu müssen: Hat er sich jedoch einmal zur Lehre Muhammads bekannt, so wird er, wenn er zu seinem alten Glauben zurückkehrt, als ein Abtrünniger mit dem Tode bestraft. Und so hing nun von meiner Antwort nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch das meines Vater ab.
Lügen? Beteuern? Ins Kreuzfeuer der Fragen genommen werden? Sich darin verfangen?
Oder bekennen? Aber was bekennen? Ulug Begs Frage war ja nicht mit Ja oder Nein zu beantworten.
»Meine Mutter ist eine Georgierin, eine Christin. Der Mönch, der in unserem Hause lebte, war der Bruder ihrer Mutter. Sie wollte, dass er mich taufe, aber mein Vater hat es nicht geduldet.«
»Gut. Weiter.«'
»Dass Isa ben Maryam, den die Christen Jesus nennen, ein großer Prophet war, lehrt auch der Koran. Mein Herr kennt die Stellen in der Sure ›Das Haus Imram‹ und in der Sure ›Das Licht‹, die davon handeln. Und nichts hat mein Oheim mich gelehrt, was im Widerspruch stünde zu den Offenbarungen unseres Propheten Muhammad (den Allah segne!), wie sie in seinem Heiligen Koran niedergelegt sind.«
»Nichts?«
Er sah mich so scharf an, dass mich ein Schauder durchfuhr. Natürlich wusste ich, wohin seine Frage zielte. Anstößig im höchsten Maße ist für jeden Moslem die Vorstellung, Jesus sei der Sohn Gottes. Denn einen Sohn zu zeugen – darüber ist Gott erhaben! Er hat Jesus in Maryams Schoß zum Leben erweckt durch das einzige Wörtchen »Sei!« – so wie er Adam aus Erde geschaffen und durch ebendieses Wort zum Leben erweckt hat.
Mit großer Leidenschaft hatte sich meine Mutter immer dagegen gesträubt, Jesus für ein Geschöpf und Eigentum Gottes zu halten, nicht anders, als die andern Menschen auch, aber Guram hatte mich belehrt, dass es auf diese Unterscheidung gar nicht ankomme. Vielmehr auf eine ganz andere. »Liebet eure Feinde. Und so jemand euch einen Schlag auf die eine Wange gibt, dem haltet auch die andere dar. Das findet man nirgendwo im Koran, nur im Evangelium Jesu Christi.«
So hatte ich das Glaubensbekenntnis der Moslems immer ohne Gewissensnot sprechen können und wiederholte es nun auch vor Ulug Beg:
»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Sprich: Gott ist einer. Er herrscht in Ewigkeit. Er ist nicht gezeugt und hat nicht gezeugt. Ihm gleich ist keiner.«
Ulug Beg schwieg. Lag in dem Blick, mit dem er mich musterte, Verachtung, oder bildete ich mir das ein? Ich fühlte eine heiße Scham in mir aufsteigen, spürte ein inneres Beben, das mein Herz durchfuhr, und wusste, nun konnte ich nicht mehr schweigen, musste aussprechen, was mich das Leben kosten würde.
»Mein Oheim war nicht nur Mönch, sondern auch Goldschmied. Darum brachte man ihn nach Samarkand, aber weil er nicht tun wollte, was man ihm befahl, stach man ihm die Augen aus.
Er lehrte mich das Herzstück der Botschaft Jesu, das man im Koran nicht findet, und das lautet: ›Liebet eure Feinde. Segnet, die euch fluchen. Tut wohl denen, die euch hassen. Bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen!‹«
Als ich geendet hatte, stand mir der Schweiß auf der Stirn. Doch worauf ich am wenigsten gefasst war, geschah: Ulug Beg lachte. Und es war kein ungutes Lachen, klang eher so wie man über Kinder lacht, wenn sie treuherzig eine Täuschung für bare Münze nehmen.
»Nun gut«, sagte er schließlich, »das ist keine gefährliche Lehre, denn nur ohnmächtige Toren können sie ernst nehmen. wie viel besser kannte da unser Prophet die Notwendigkeiten des Lebens, wenn er sagte: ›O ihr Gläubigen, vorgeschrieben ist euch die Wiedervergeltung bei Mord. Der Freie für den Freien, der Sklave für den Sklaven, die Frau für die Frau. Und in der Wiedervergeltung liegt Leben für euch, ihr Leute von Verstand – vielleicht werdet ihr gottesfürchtig!‹«
(Ob er sich wohl dieses Lachens und dieser Worte erinnert hat in der Stunde seines Todes?)
Er hielt inne, und ich sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Dann fuhr er fort: Nun sag selbst, bittest du für Ben Nisam, euren Verleumder und für Abbas, der dich durch Betrug fast ins Verderben gestürzt hat?« Wieder dieses innere Beben! Aber dieses Mal beachtete ich es nicht, sondern rief ganz schnell, ehe eine Hand sich ausstrecken und mir
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