Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
dem Scheich Malik persönlich auszuhändigen, es sei ein sehr wichtiges Staatsdokument, und Ulug Beg habe befohlen, es Kükülli anzuvertrauen, er wisse in ganz Samarkand keinen zuverlässigeren Boten als ihn.
Dieses Heuchelwort habe wohl mit dazu beigetragen, dass kein Verdacht in ihm aufgekommen sei, sagte mein Vater, und die Vorstellung, seinem Fürsten einen wichtigen Dienst zu leisten, habe ihn sein Pferd anspornen lassen, doch sei er nicht weit gekommen. Denn keine halbe Tagereise von Samarkand entfernt hätten sich ihm zwei Reiter von der Leibwache des Sultans in den Weg gestellt (nicht ihn überholt, nein, ihn erwartet!), ihm das Schreiben weggenommen und ihn zurückgebracht. Das Petschaft erwies sich als gefälscht, das Schreiben als hochverräterisch.
Doch wer hatte Kenntnis davon, noch ehe mein Vater sich in Bewegung setzte, außer Ben Nisam, der sich doch wohl schwerlich selbst verraten hatte?
Darüber grübelten wir, und der Schlaf floh uns in jener Nacht, und als das erste Tageslicht durch das kleine vergitterte Fenster in unser Verlies fiel, holte man uns, denn das Verhör sollte beginnen.
Abbas wurde als Erster vernommen. Als man ihm den Brief zeigte, zitterte er am ganzen Körper wie ein Lamm, das den Wolf vor sich sieht. Und als ihn der Kasi anbrüllte: »Hast du dies geschrieben?« konnte er keinen Ton herausbringen. Da rüttelte der Büttel ihn an den Schultern, und der Kasi wiederholte die Frage, und endlich presste er ein »Ja« heraus, kaum hörbar. Doch Ben Nisam hatte es verstanden, und er konnte nun nicht mehr leugnen.
Sein Geständnis war so wortreich, wie das seines Sohnes einsilbig gewesen war. »Der Schaitan hat mich verführt, dieser Heian, den seine Mutter, die Hündin, mir zum Verderben geboren hat!«
Und dann trat alles zutage.
Ben Nisam hatte sich, in der Seelenverfassung, in die ihn sein häuslicher Kummer gestürzt hatte, der Spielleidenschaft hingegeben und so viel verloren, dass selbst sein riesiges Vermögen zusammengeschmolzen war wie Schnee in der Frühlingssonne. Da hatte ihm der Choresmier zugeraunt, er kenne ein Mittel, wieder zu Geld zu kommen, ja reicher zu werden als je zuvor.
Scheich Malik habe sich ihm gegenüber geäußert, er würde sich demjenigen nicht wenig erkenntlich erweisen, der ihm hülfe, die Schmach abzuwaschen, die ihm seinerzeit von Ulug Beg angetan worden sei.
Er, Heian, habe mit der Sache nichts zu tun haben wollen und sei darum von Choresm weggegangen – denn man wisse ja, wie die Herrscher mit jenen umspringen, denen sie einen so heiklen Auftrag anvertraut haben, ohne dass er ausgeführt wird. Aber wenn Ben Nisam einen zuverlässigen Mann an der Hand hätte …
»Und du fandest ihn?«
Es war das erste Wort, das Ulug Beg selbst in dieser Vernehmung sprach.
»Ja, Herr, ich fand ihn. Kükülli wollte es tun. Bei der nächsten Jagd. Ich hatte ihm die Hälfte von Scheich Maliks Belohnung dafür versprochen.«
Aller Augen richteten sich auf meinen Vater. Dessen Gesicht war wie versteint.
»Was sagst du dazu, Kükülli?«
»Was soll ich dazu sagen, Herr? Gegen eine solche Beschuldigung gibt es keine Beweise, nur Beteuerungen.
Mein Leben liegt in deiner Hand, Ulug Beg. Wenn du mich einer solchen Schandtat für fähig hältst, so nimm es mir. Es ist mir dann auch nichts mehr daran gelegen.«
Es wurde so still nach diesen Worten wie in einem Grab. Das war eine Sprache, wie man sie in diesem Lande nicht gewohnt war. Auch Ulug Begs Züge waren starr geworden, Er schwieg lange. Schließlich winkte er dem Kerkermeister, »Führ sie zurück«, sagte er. »Beide.«
»Weine nicht, mein Sohn«, sagte mein Vater, als ich mich in der Zelle aufs Stroh geworfen hatte und mein Gesicht in den Armen vergrub. »Ulug Beg ist nicht Timur. Er wird nicht den Sohn das entgelten lassen, was seiner Meinung nach der Vater verbrochen hat.«
»Ich weine doch nicht meinetwegen«, stieß ich hervor.
»Auch um mich musst du nicht weinen, Giorgi. Das Sterben steht jedem Menschen bevor, und ich habe keinen Grund, mich vor der Ewigkeit zu fürchten.«
»Auch nicht um dich, Vater! Ich weine, weil es das gibt eine solche Schlechtigkeit, eine solche Niedertracht. Man mochte kein Mensch mehr sein!«
»Ja, du hast recht, es gibt nichts, dessen der Mensch nicht fähig wäre. Doch nicht nur im Schlechten.«
Er beugte sich über mich und machte das Zeichen des Kreuzes über mir. Nie bisher hatte er das getan.
»Gott bewahre dich, mein Sohn, vor allem Übel, das du dir selbst
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