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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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mich ganz nahe an ihn heran. Da raunte er mir zu:
    »Du musst Samarkand so schnell wie möglich verlassen. Am Eisentor wartet der Reitknecht auf dich mit einem gesattelten Pferd. Dein Vater ist in ein Komplott gegen Ulug Beg verwickelt, das aufgedeckt wurde. Er wird vermutlich morgen hingerichtet. Dein Leben ist gefährdet.«
    Wie ich zum Eisentor gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Weiß nur, dass ich im Sattel saß, ehe Omar Zeit gehabt hatte, mir den Steigbügel zu halten, und meinem Pferd die Sporen gab, dass es lospreschte. Aber nicht zum Tor hinaus, sondern in die Stadt hinein, geradewegs dem großen Hauptpalast des Herrschers zu, wo sich die Gefängnisse befanden.
    Was in solchen Augenblicken, in denen es keine Zeit zum Überlegen gibt, unser Handeln bestimmt – wer könnte es sagen? Damals machte ich die erste Erfahrung damit, dass es eine Sicherheit gibt, die außerhalb unseres Denkvermögens liegt, und dass es gut ist, sich ihr im Augenblick der Gefahr bedenkenlos anzuvertrauen. Ein Atemholen in Unschlüssigkeit, und schon lässt sie dich im Stich, und du bist verloren. Als ich 2um ersten Mal in eine solche Lage geriet, war ich jung genug, mich von dieser Sicherheit tragen zu lassen – und so hat sie mich auch durch mein ganzes Leben begleitet.
    Nicht, dass ich hier einem tolldreisten Leichtsinn das Wort reden will. Der Spruch gilt immer noch: Wer die Gefahr sucht, kommt darin um. Doch wenn sie dir entgegentritt und du sie nicht bei den Hörnern packst …
    Genug jetzt der Betrachtungen.
    Ich war kaum beim Palasttor angelangt, als auch schon Fäuste mich ergriffen, vom Roß zerrten und mir den Dolch aus dem Gürtel rissen. Dann trieben sie mich mit Rippenstößen vor sich her und stießen mich schließlich in ein dunkles Verlies, dessen Tür sich hinter mir schloss. Hier hatte ich Zeit genug, Überlegungen anzustellen.
    Ich sank auf dem kalten Lehmboden nieder und lehnte mich an die feuchte, aus unverputzten Steinen roh gefügte Mauer. Hier kauerte ich reglos und wusste schließlich nicht mehr, ob Stunden, Tage oder Wochen an mir vorübergingen, so ohne jegliches Zeitempfinden ist der Mensch, wenn Schreckensbilder an seiner wehrlosen Seele vorüberjagen und wenn das, was war und was ist, sich mit dem, was kommen könnte, vermischt. Seine Gedanken, seine Vorstellungen verwickeln ihn in immer unentwirrbarere Gespinste, die ihn* zu ersticken drohen. Aus diesem Zustand des Überwachseins, in dem man sehen kann, was kein Auge je gesehn, und hören, was kein Ohr je gehört hat, wurde ich aufgeschreckt durch den Schein einer Fackel und den Griff eines Mannes, der mich an den Schultern emporriss. »Komm!«
    Er führte mich über Treppen und durch Korridore und stieß mich schließlich in ein nicht allzu großes, aber mit seidenen Tapeten ausgeziertes und mit kostbaren Teppichen belegtes Zimmer, in dessen Hintergrund auf einem Berg von Kissen eine Gestalt saß.
    Ulug Beg. Der einzige, der helfen konnte.
    Ich warf mich vor ihm nieder, dass meine Stirn den Boden berührte, und verharrte reglos. So sah ich nicht, dass er mit einem Wink die Diener aus dem Raum scheuchte, hörte auch nicht, wie sie sich entfernten, hörte nur seine Stimme, aber sie klang nicht zornig, sondern eher traurig:
    »Achmad Ben Kükülli, du Unglückseliger, welcher böse Dschinn hat dich hierhergebracht?«
    Da blickte ich auf und sah ihn an. Und es war mir, als säße ein Fremder vor mir, so hatte sich der Ausdruck seines Gesichtes verändert. Mir krampfte sich das Herz zusammen. Nicht meinetwegen, sondern seinetwegen. Und ich fand keine Antwort.
    Da nahm er wieder das Wort.
    »Ich habe nicht vergessen, Achmad, dass du mir einmal das Leben gerettet hast. Deshalb wollte ich das deine schonen. Ich war es, der dir ein gesatteltes Pferd zur Flucht schickte. Welcher Dschinn hat es denn gelenkt, dass es dich an die Stelle brachte, wo ich dich nicht schonen kann?«
    Da hatte ich mich gefasst.
    »Der Dschinn der Dankbarkeit, Herr! Er wollte nicht zulassen, dass mein Gebieter, der mir so übermäßige Wohltaten für einen so geringen Dienst erwiesen hat (denn wenn Allah nicht meinen Pfeil gelenkt hätte, der Schuss eines unbedachten Knaben hätte nur Unheil angerichtet!), von einem böswilligen Verleumder hinters Licht geführt würde. Und der Dschinn der Schuldlosigkeit, der mir zuflüsterte: ›Sei unbesorgt! Du hast nichts verbrochen, also wird dir auch nichts geschehen. Sollte sich dein Vater etwas zuschulden kommen lassen, so wird es der

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