Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
die Lippen zuhalten konnte: »Ich bitte nicht für sie!«
»So hast du ja«, sagte Ulug Beg, nicht ohne eine leise Ironie in der Stimme, »den besten Beweis erbracht, dass du kein Christ bist, indem du das deiner Meinung nach wichtigste Gebot dieses Propheten missachtest.«
Ja, so war es: Muhammad hatte gesiegt in meinem Herzen gesiegt über Jesus von Nazareth. Mit Bestürzung machte ich mir das bewusst und war todtraurig.
Der Sultan klatschte in die Hände, und ein Diener erschien. »Führe diesen da zu seinem Vater«, sagte er, und, zu mir gewandt: »Ich brauche euch noch als Zeugen gegen Ben Nisam. Doch wenn alles gut »geht, sollt ihr frei sein.«
Mein Vater schrie auf, als er mich eintreten sah. Und auch mir schössen die Tränen in die Augen, denn in welchem Zustand traf ich ihn an? Seine Beine waren mit Ketten an einen Holzklotz gefesselt, auf dem er saß und der mitten im Räume stand, sodass er sich nirgendwo anlehnen konnte. Und seine Augen hatten den Ausdruck eines verwundeten Tieres.
Aber der Schließer, der mich hergebracht hatte, löste die Kette, brachte Stroh, breitete es auf dem Boden aus und sagte: »Du darfst dich hinlegen, Kükülli.« Und dann ging er hinaus, ohne auf mich auch nur einen Blick zu werfen.
Ich half meinem Vater, dessen Glieder völlig steif geworden waren, aufzustehn von seinem Marterstuhl und sich aufs Stroh zu legen. Dann kniete ich neben ihm nieder und küsste ihn auf Stirn und Augen, auf Wangen und Mund. Sprechen konnten wir lange kein Wort.
Endlich aber fand ich doch die Sprache wieder. »Es wird alles gut werden, Vater. Ich habe beweisen können, dass Abbas den Brief geschrieben hat. Wir müssen nur so lange als Zeugen hierbleiben, bis der Prozess vorbei ist.«
Da kam wieder Leben in seine Augen.
Wir hatten dann viele Stunden lang Zeit, uns gegenseitig anzuvertrauen, was jeder so lange Zeit mit sich selbst ausgemacht hatte, und ich kam meinem Vater in diesen Stunden näher als jemals. Spürte nicht, wie hart das Lager war, fühlte nicht die Kälte, die an den Wänden hinkroch, hörte nicht das Rascheln der Ratten in den Ecken, horchte nur auf seine Stimme, wenn er sprach, und auf seinen Atem, wenn er schwieg. Mir war, als wäre ich jahrelang von ihm getrennt gewesen und fände erst jetzt wieder zu ihm zurück.
Ja, er hatte Sorgen gehabt und hatte sich mit ihnen allein herumgeschlagen, denn: ebenso wenig wie ein Mann jemals zu Außenstehenden von dem spricht, was sich in seinen Frauengemächern abspielt, ebenso wenig wird er vor Frau und Kindern seine Schwierigkeiten und Sorgen ausbreiten. Nun aber war ich kein Kind mehr. Nun erkannte er mich als Kampfgefährten an. Und so erfuhr ich, dass Ben Nisam schon seit meinem Chatamfest ihm Grund zu Sorgen und Befürchtungen gegeben hatte.
Dieser Perser war seit der Zeit wie umgewandelt gewesen, gar nicht mehr leutselig, sondern verbissen und mürrisch. Hatte alle, die von ihm abhängig waren, mit seinen Launen gequält, und meinen Vater besonders. Er hatte ihm einen jungen Mann vorgezogen, einen Choresmier mit Namen Heian, der dem Perser in widerlicher Weise nach dem Mund redete und die Schmeichelworte ausstreute wie der Bauer seine Körner in den Ackerboden. Vielleicht tröstete der ihn auch darüber, dass ihm Amina, die Lieblingsfrau, die kalte Schulter zeigte.
Ja, man munkelte allerlei hinter der hohlen Hand. Amina solle seiner überdrüssig geworden sein (was ihr wahrhaftig nicht zu verdenken wäre), er aber, je weniger willfährig sie sich ihm zeige, ihr um so höriger. Er bettelte um ihre Liebe und sie gebe ihm ihre Macht zu spüren, wo immer sie könne. Und Heian, der ihn so umgarnte und den er so sehr bevorzugte, schleiche sich heimlich in ihre Zimmer.
Wieweit das stimmte, konnte mein Vater freilich nicht sagen, denn er hatte sich um Haremsgeschichten niemals gekümmert. Dass aber Heian sich immer mehr in die Gunst Ben Nisams einschmeichelte, hatte er am eigenen Leibe erfahren, denn eines Tages nahm ihm der Perser die Aufsicht über die Falken weg und gab sie diesem Günstling, obwohl der nicht halb soviel davon verstand. Vielleicht hätte mein Vater sich an Ulug Beg wenden und gegen diesen Choresmier intrigieren sollen, aber so etwas lag ihm nun ganz und gar nicht.
Was es mit dem verhängnisvollen Brief auf sich hatte, konnte mein Vater freilich nicht wissen, als Ben Nisam ihn zu sich rief und ihm ein mit Ulug Begs Petschaft versiegeltes Schreiben aushändigte. Das sei schleunigst nach Choresm zu befördern und
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