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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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besten von ihren Krippen, schnallte ihnen die Sättel auf und für die Mutter ein Traggestell, führte sie hinaus und schloss die Tür hinter sich zu.
    Tirsad war sofort munter, als wir in seine Kammer traten. Er begriff, ohne dass wir viel Worte machen mussten, und hatte alles, was er längst für diese Stunde bereithielt, bei der Hand. Die Mutter brauchten wir nicht zu wecken. Sie lag nicht, sondern hockte in ihrem Bett und hatte ganz glasige Augen.
    »Seit sie erfahren hat, was mit euch geschehen ist, hat sie kein Wort mehr geredet, auch nicht gegessen und nicht geschlafen«, berichtete Tirsad. Doch als der Vater sie an der Schulter berührte und zärtlich sagte: »Nino! Wir leben! Und nun führe ich dich in deine Heimat, Nino!«, da lachte sie plötzlich auf, und es war ein grausiges Lachen. Sie hat den Verstand verloren, schoss es mir durch den Kopf, doch wagte ich nicht, diesen Gedanken laut werden zu lassen, als könnte ich dadurch, dass ich ihn unterdrückte, ungeschehen machen, was geschehen war.
    Wir warteten, bis der Tag anbrach und die Stadttore geöffnet wurden, und verließen dann Samarkand. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, sandte nur ihre Glutstreifen über den sich von einem hellen Grau in ein zartes Blau wandelnden Himmel. Und doch war ein Kommen und Gehen durch das breite Tor, geschäftiger als am heißen Tag, wenn sich die lähmende Hitze über Mensch und Tier legt und die Bäume und Hauswände kaum Schatten geben.
    Viele Straßen, von Norden und Süden, von Osten und Westen führen nach Samarkand und laufen von hier wiederum in alle Windrichtungen auseinander. Auf ihnen regte sich tausendfältiges Leben. Eselkarren brachten Gemüse und Melonen in die Stadt, Hirten trieben ihre Hammelherden in die Schlachtereien, Kaufleute schafften ihre Waren herbei – doch ebenso viel Volk strömte auch aus den Toren hinaus: Derwische, die zum Grabe eines ihrer Heiligen pilgerten, kleine Krämer, die die Erzeugnisse der städtischen Handwerker aufgekauft hatten, um sie in die umliegenden Dörfer zu tragen, reiche Handelsherrn, die von weit hergekommen waren, ihre Geschäfte abgewickelt und neue Waren eingehandelt hatten und nun mit ebenso hoch bepackten Tragtieren in ihre Heimat zurückreisten.
    Wir kamen nur langsam vorwärts, weil wir der Mutter keinen scharfen Ritt zumuten wollten, und immer, wenn hinter uns Pferdegetrappel hörbar wurde und uns jemand überholte, wandte ich den Kopf, wie um einer Gefahr ins Gesicht zu sehen. Aber niemand hielt uns an, niemand beachtete uns.
    Bis Buchara kamen wir ohne Mühe. Der Weg war leicht zu finden, immer am Kohik entlang durch Dörfer, in denen es Granatäpfel und Weintrauben die Fülle zu kaufen gab, aber auch Hühner, die wir am Spieß brieten, Gerstenfladen und gegorene Stutenmilch. Der Vater machte oft Rast, hob die Mutter aus dem Traggestell, brachte ihr Obst zur Erfrischung, nötigte sie zu trinken. Sie sah ihn dankbar an, ließ sich neben ihn auf die Erde nieder, schmiegte sich an ihn. Aber ein Wort kam nicht über ihre Lippen.
    Wir aßen nicht in den Hans, sondern abseits der Wege im Schatten von Bäumen, und übernachteten unter freiem Himmel, denn die Mutter duldete keinen Schleier vor dem Gesicht, und als wir am Abend des ersten Tages eine Karawanserei aufgesucht hatten, maßen die dort anwesenden Männer diese unverhüllte Frau mit zudringlichen Blicken, oder wandten sich mit dem deutlichen Ausdruck der Verachtung von ihr ab. Sie merkte das nicht. Sie nahm nur den eigenen Mann wahr, dem sie nicht von der Seite wich und mit dem sie allein war trotz des größten Menschentrubels. Aber mein Vater ertrug es nicht.
    Das war wohl auch der Grund, warum er sich keiner Reisegesellschaft anschließen wollte, wie Tirsad ihm riet. »Wozu das?« erwiderte er. »Wer weiß, wie lange wir warten müssten, bis wir eine fänden, die unsern Reiseweg nimmt? Vor der Wüste habe ich keine Angst. Es gibt Führer genug, die alle Wasserstellen kennen und uns den sichersten Weg weisen.«
    Wir hatten Glück. Der alte Abu Gahiz war zwar ein Ausbund von Hässlichkeit, tiefäugig und fast zahnlos, aber ein Mann von Erfahrung und Umsicht, er vermietete uns ein Kamel, das die Wasserschläuche schleppte, und begleitete uns auf seinem Esel, der an das Ertragen von Mühsalen aller Art gewöhnt war. Auch für den notwendigen Proviant sorgte er und belud damit das fünfte Pferd, das mein Vater als Packpferd mitgenommen hatte, vergaß auch den Spaten nicht, für den Fall, das ein Brunnen

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