Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Ruinen einer ehemaligen Befestigung, die jetzt vom Sand eingenommen und halb zerstört war. »Iskander hat sie erbaut«, sagte Abu Gahiz, »der erste Dschihangir, den die Erde getragen hat. Er kam aus dem fernen Hellas und tränkte seine Rosse schließlich mit den Wassern des Syr-Darja, aber er ist jung gestorben – konnte sich seinen Gattinnen nicht lange erfreuen. Damals gab es hier noch Wald und fruchtbares Land, doch die Menschen waren zu sündig, darum hat Allah dem Sand die Macht gegeben, ihre Burgen zu zerstören und die Tempel, die sie ihren Götzen errichtet hatten. Denn er ist der eine, und er duldet nicht, dass ihm andere beigesellt werden!«
Alexander also, der große Makedonier, war schon vor uns dieses Weges gezogen, den wir jetzt in umgekehrter Richtung beschatten!
Auch an zwei Tempelruinen kamen wir vorbei. Sie standen in geringen Abständen voneinander, und niemand wusste mehr, welchen Gottheiten sie geweiht gewesen waren. »Man nennt sie ›Schirin und Chosru ›», meinte der Alte, »in ihrem Schatten können wir Rast machen.«
Wir fanden eine überdachte Nische, vor deren Eingang wir unsere Tiere sich niederlegen ließen, sodass nur ein schmaler Durchschlupf zwischen ihren Leibern blieb. Von den andern drei Seiten schützten uns die Mauern vor dem Wind, und mein Vater beschloss, die Nacht dort zuzubringen, damit wir uns einmal richtig ausruhen könnten.
»Warum, Abu Gahiz, nennst du diese Ruinen Schirin und Chosru?« fragte er.
»Nun, weil sie so nahe beisammenstehen und doch nicht zusammenfinden.«
»Nicht zusammenfinden? Waren Schirin und Chosru denn nicht Eheleute?«
»Freilich!« Tirsad entringelten dem Alten das Wort. »Schirin war eine georgische Prinzessin und Chosru der Schah von Persien, und sie liebten sich, noch ehe sie sich kannten, da jedes des andern Bild gesehen hatte und von heftiger Sehnsucht nach dem Urbild erfasst worden war. Kein Hindernis stand ihrer Ehe im Wege, doch in der Gewöhnung erkaltete die Liebe. Ich will nicht schildern, wie Schirin litt – unter der Vernachlässigung des Gatten wie unter Ferhads heftigem Verlangen nach ihr, das dann auch ihre Liebe weckte, der sie doch nicht Raum geben durfte in ihrem Herzen. Und ich will auch nicht die Ränke beschreiben, die Garamar schmiedete und denen Chosru zum Opfer fiel. Wie oft habe ich den Rawis im Basar zugehört, stundenlang konnten sie davon singen und sagen, der Morgen würde uns hier überraschen, wenn ich alles erzählen wollte, was ich davon weiß. Nur eines noch auf meines Herrn Frage: Als Chosru tot war, nahm sich auch Schirin das Leben – aus Verzweiflung und Reue und müde von der Last, die ihr die Leidenschaften aufgebürdet hatten und die sie nicht mehr länger tragen konnte. Und darum nennt das Volk zwei Bauwerke, die so nahe beisammenstehen und dennoch voneinander getrennt sind, oft Schirin und Chosru.«
Tirsad hatte sich so in Eifer geredet, dass er gar nicht merkte, wie Abu Gahiz aufstand und sich entfernte. »Nun hast du den Alten gekränkt, Tirsad«, sagte mein Vater, »dachtest du denn gar nicht daran, dass er von deinen georgischen Worten kein einziges verstehen konnte?«
Tirsad wurde rot. Nein, das hatte er nicht bedacht, als ihn das Fieber der Redseligkeit mitgerissen hatte. Und er ging dem Alten nach, um ihn zu versöhnen.
Meine Mutter hatte wie immer stumm, in scheinbarer Teilnahmslosigkeit, daneben gesessen, doch als die beiden hinausgegangen waren, sagte sie plötzlich, und es kam wie ein Stöhnen aus der Tiefe ihrer Brust: »Arme Schirin!« Es war ihr erstes Wort nach unserm Aufbruch aus Samarkand, und es berührte meinen Vater so sehr, dass er mit einer plötzlichen ungestümen Bewegung die Frau, die neben ihm saß, auf seinen Schoß zog.
»Glückliche Nino!« sagte er, und obgleich er die Stimme dämpfte, konnte ich doch den Jubel heraushören, der in ihr mitschwang. »Die Liebe zwischen uns ist nicht erkaltet, und bald werden wir zusammen in Georgien sein.«
Auch darauf kam eine Erwiderung von ihren Lippen. »Georgien«, sagte sie kaum hörbar. »Wo liegt Georgien?«
Mein Vater zeigte auf den Sonnenball, der, blutrot und mächtig, sich auf die Zacken eines fernen Gebirges stützte und noch einen feurigen Abschiedsblick auf die hinter uns liegende Wüste warf. »Dort, du Liebe«, sagte er, »hinter jenen Bergen ist deine Heimat, dein Georgien.«
Da näherten sich die Schritte der beiden Männer, und sie glitt von seinem Schoß.
Abu Gahiz brachte getrockneten Kamelmist herbei,
Weitere Kostenlose Bücher