Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
zufügen kannst. Besser ist es, im Strome des Lebens unterzugehn, als ihn auf der Brücke der Gemeinheit zu überqueren.«
Wir sprachen daraufhin kein Wort mehr, doch allmählich versiegten meine Tränen.
Als sich der Schlüssel in dem verrosteten Schloss drehte, dachte ich: Nun ist es soweit! Doch wie erstaunt war ich, als nicht der Henker vor uns stand, sondern der Herrscher: Ulug Beg selbst und ohne jede Begleitung.
»Kükülli«, sagte er, ohne einen von uns anzusehen, »beantworte mir eine einzige Frage: Bist du ein Christ?«
»Ich stamme von christlichen Eltern, Herr. Sie haben mich taufen lassen und in ihrem Glauben erzogen. Als ich siebzehn Jahre alt war, geriet ich in die Gefangenschaft der Osmanen. Sie machten mich zu einem Janitscharen und zu einem Moslem.
Seither halte ich die Gebetszeiten ein, Herr, versäume nicht die Waschungen, nehme im Ramadan keine Speisen zu mir, ehe die Sterne am Himmel stehn …«
»Das ist das Äußere, danach frage ich nicht. In deinem Inneren, Kükülli, in deinem Herzen – bist du da ein Christ?«
Nun stockte mir der Atem, und meine Seele schrie zu Gott und wusste doch nicht, um welche Antwort meines Vaters sie flehen sollte, um sein Ja oder sein Nein.
»Ja, Herr – in meinem Herzen bin ich ein Christ geblieben.« Das war das Todesurteil. Oder nicht? Hörte ich recht?
»Kükülli, jetzt glaube ich dir. Glaube dir, dass du in der Vernehmung kein unwahres Wort gesprochen hast. müsste dich eigentlich zu meinem Wesir machen – denn von welchem meiner Diener kann ich so viel Wahrheitsliebe erwarten?
Aber wenn ruchbar würde, was du mir jetzt gestanden hast und stört nicht der Teufel das Geheimnis in seinen Schlupfwinkeln auf, sobald Neid und Missgunst um die Wette laufen?, wie soll ich dich da vor meinen Theologen und Rechtsgelehrten, diesen Eiferern der Frömmigkeit, schützen? Es gibt keine tödlichere Bedrohung als die, in den Verdacht des Unglaubens zu kommen, er ist für einen Herrscher nicht weniger gefährlich als für den geringsten seiner Untertanen. Ich müsste dich fallen lassen, um mich reinzuwaschen.
Darum, Kükülli, kann ich dir nur eine einzige Gnade erweisen. Nimm hier diesen Schlüssel, er sperrt dein Gefängnis auf. Wartet die Nacht ab und flieht. Meiner Torwache sagst du das Wort ›Noyan‹, und sie wird euch aus dem Palast hinauslassen.«
Er drückte ihm einen Beutel mit Goldstücken in die Hand. »Hier«, sagte er, »damit ihr am Wege nicht Hunger leidet.« Und, schon im Hinausgehn: »Den Perser wollte ich enthaupten lassen, aber da er so schändlich gelogen hat und auch dich und Heian ins Verderben stürzen wollte …«
»Heian ist unschuldig?«
»Nun, er war es ja, der dieses ganze Spiel durchschaut und angezeigt hat.«
Als Ulug Beg gegangen war, sagte mein Vater: »Heian unschuldig? Das glaube ich nicht. Er hat Ben Nisam verderben wollen, um sich dessen Gattin anzueignen, und deshalb diese ganze Komödie ausgeheckt.«
Nicht lange danach hörten wir Stimmen auf dem Hof, und als wir zum Fenster traten, sahen wir, dass man dem Perser die Kleider vom Leibe riss und ihn nackt auf die Prügelbank schnallte.
»Man wird ihn zu Tode peitschen«, sagte mein Vater.
Auch Abbas brachten sie an, gingen aber etwas glimpflicher mit ihm um – beließen ihm die Kleider, zogen ihm nur die Schuhe aus und banden ihn so, dass er die nackten Sohlen den Schlägen ihrer Rohrstöcke entgegenhielt. »Er wird am Leben bleiben«, sagte mein Vater, »aber das Laufen wird ihm für einige Zeit vergehn.« Und er zog mich vom Fenster zurück.
Er konnte es aber nicht verhindern, dass ich das Sausen und Klatschen der schweren Peitsche aus Büffelleder und das Knallen der Stockprügel vernahm, und vor allem die Schreie der Verurteilten, wenn die Schläge ihnen die Haut zerfetzten. Umsonst presste ich meine Hände auf die Ohren, es wurde mir so schlecht, dass ich mich übergab.
»Giorgi, mein Junge, Fass dich – es ist das Schicksal, das sie uns selbst bereiten wollten.«
»Gerade darum, Vater, ist mir, als ob jeder Hieb dich träfe – und mich selber.«
Endlich war es vorbei, und man schaffte sie fort: einen Toten und einen, der mehr tot war als lebendig.
Als wir bei Anbruch der Nacht den Palast verlassen hatten, gingen wir zuerst zu den Pferdeställen. Mein Vater sperrte auf, machte aber kein Licht. Die Burschen schliefen, und er hatte keine Veranlassung, sie zu wecken. Auch kannte er selbst im Dunkeln jede Ecke, wusste, wo jedes Pferd stand, band die fünf
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