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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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den er in der Nähe der Tempelruinen zusammengelesen hatte, zündete ein Feuer an und kochte grünen Tee mit dem Wasser des Brunnens, an dem wir vor wenigen Stunden vorbeigekommen waren und das besser schmeckte als das der vorherigen. Richtig wohlig und warm war es in dem engen Raum, in dem Menschen und Tiere in so freundlicher Nachbarschaft zusammen hausten. Ehe ich einschlief, sah ich noch, wie meine Mutter ihre Hand zum Vater hinüberstreckte, an dessen Seite sie lag, und die seine umklammerte, als müsste sie sich an ihm festhalten, um ihn nicht zu verlieren. Doch als wir am nächsten Morgen aufbrechen wollten, war sie verschwunden.
    Es bemächtigte sich meiner eine unbeschreibliche Beklemmung. War dieses das Ende, das Guram vorausgesehen hatte und dem wir trotz seiner Warnung nicht zuvorgekommen waren? Auch meinem Vater schlug das Gewissen. Wir umritten die Ruinen in engeren und dann in immer weiteren Kreisen. Ein Tag nach dem anderen verstrich damit. Unsere Vorräte gingen dem Ende entgegen. »Morgen müssen wir aufbrechen«, sagte Abu Gahiz, »sonst verschmachten Tiere und Menschen.«
    Am Abend des fünften Tages fanden wir sie. Ein Rudel Schakale brachte uns auf die Spur.
    Sie lag auf dem Rücken im Sand mit toten, aber offenen Augen. Die Bestien hatten sie noch nicht angetastet, näherten sich ihr aber in bedrohlicher Weise. Ich nahm den Bogen zur Hand und schoss eine nieder, worauf die andern sich heulend zurückzogen.
    »Damit vertreibst du sie nicht«, sagte mein Vater, der vom Pferde gestiegen war und der Toten die Augen zugedrückt hatte. »Reite zum Tempel zurück, brich Steine aus den Mauern, belade alle Tiere damit und vergiss nicht, auch den Spaten mitzubringen. Ich halte solange hier Wache.«
    Tirsad und Abu Gahiz, die bei den Tieren zurückgeblieben waren, sahen mir schon von weitem an, was geschehen war.
    »Eine Ghule«, sagte der Alte, »hat deine Mutter hinausgelockt. Hat ihr Wahnbilder vor die Seele gegaukelt. Doch Allah ist mächtig und weise und voller Barmherzigkeit. Er allein weiß, wann der Mensch seines Todes bedarf.«
    Die beiden halfen mir bei der Arbeit, begleiteten mich und schaufelten meiner Mutter das Grab. Wir betteten sie in den Sand, der heiß war von den Strahlen des Tagesgestirns, und beschwerten ihren Körper mit all den Steinen, die unsere wackeren Tiere herangeschleppt hatten. Als das geschehen war, sagte mein Vater: »Reitet voran, ich hole euch bald ein.«
    Wie bange mir bei diesen Worten wurde, kann ich nicht beschreiben. Ich wollte etwas sagen, aber er machte eine so beschwörende Handbewegung, dass ich schwieg und ihm seinen Willen tat. Ach, wie klopfte mein Herz, als ich eine Weile danach das Wiehern seines Pferdes hörte! Ich wandte das meine und ritt ihm entgegen.
    »Ich habe ein Kreuz aufgerichtet auf deiner Mutter Grab«, sagte er. »Und das brauchte Abu Gahiz ja nicht zu sehen. Und dann – dann habe ich ein Vaterunser gebetet. Plötzlich sprangen mir die Worte, die ich seit mehr als fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gehört habe, wieder auf die Zunge. Pater noster, qui es in coelo … Dass ich es nur lateinisch und nicht georgisch zu sagen wusste, wird den Gott deiner Mutter ja nicht stören.«
    Da weinten wir beide und schämten uns nicht unserer Tränen.

Zweiter Teil
    Nach dem Tode meiner Mutter änderte der Vater seinen Reiseplan. Die Heimat zog ihn so mächtig an, dass er es mir sogar abschlug, den Weg nach Ungarn über Georgien zu nehmen, obwohl ich dieses Land für mein Leben gern kennengelernt hätte. Doch als wir die Wüste hinter uns gebracht und Tus erreicht hatten, fand er dort eine Karawane von Kaufleuten vor, darunter zwei Genuesen, die Seidenstoffe aus Kathai, Teppiche aus Choresm und Buchara, Rubine aus Chotan, Türkise aus Nischabur, Gewürze aus Indien und was weiß ich was für Schätze noch aus allen Teilen des Morgenlandes aufgekauft hatten und nun in ihre Heimat zurückkehren wollten. Sie hatten vor, über Armenien nach Trapezunt zu reisen und dort eine Galliote zu mieten, die sie auf dem Seeweg, an der Küste des Pontus Euxinus entlang, nach Konstantinopel und von dort nach Genua bringen sollte.
    Nach Konstantinopel! Dieses Wort zündete in meines Vaters Herzen. Von dort könnte man zu Pferde in zehn Tagen Nikopolis erreichen, diese Stadt unseligen Angedenkens aber schnell wieder verlassen, die Donau überqueren, dem Alt flussaufwärts folgen und in spätestens drei Wochen durch den Roten-Turm-Pass in Siebenbürgen einziehn. Tirsad war

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