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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Mächtige, der Vergebende?‹«Er ließ mich aussprechen, und ein so inniges Lächeln trat in seine Augen, als labte er sich an jedem einzelnen Wort.
    »Schön klingt das in deinem Mund«, sagte er, als ich innehielt. »Doch nun übersetze es mir.« Da erst kam mir zum Bewusstsein, dass dieser Deutsche ja kein Wort Arabisch verstand.
    Er besuchte mich, sooft es ihm seine anstrengende Tätigkeit erlaubte. (Er war Sekretär beim Kardinal Cesarini, dem Haupt und der Seele dieser großen Versammlung von Geistlichen und Fürsten aus dem ganzen Abendland.) Und da er so vieles von mir wissen wollte und ich ihm so eifrig Rede und Antwort stand – wurden doch die bohrenden Fragen in meiner eigenen Brust immer wieder erörtert –, saßen wir manche Nachtstunde beisammen.
    »Wie – Muhammad sagt, Gott habe keinen Sohn gezeugt, darüber sei er erhaben? Ja, was für eine Vorstellung macht er sich von dem Entstehen Jesu – leugnet er etwa die Jungfrauengeburt?«
    »O nein, durchaus nicht. In der Sure ›Das Haus Imran‹ heißt es ausdrücklich, dass Maria den Engel, der ihr die Geburt des Messias ankündete, fragte: ›Mein Herr, woher soll mir ein Sohn werden, da mich kein Mann berührte?‹, und er antwortete: ›Also schafft Allah, was er will. Wenn er ein Ding beschlossen hat, spricht er nur zu ihm, Sei‹' und es ist.‹«
    Und Nicolaus sah mich mit seinen durchdringenden Augen an und fragte leise: »Das steht im Koran?« und, als könne er's kaum glauben: »Denkst du, Covare, dass ich mir die Erzeugung des Gottessohnes anders vorstelle? Nein – da ist kein Unterschied. Der liegt in Muhammads Fehlinterpretation des Wortes ›Sohn‹! Und wenn er meint, die Christen hätten drei Götter, so können wir nur erwidern, dass das wieder ein Irrtum von ihm ist. Das Evangelium verdammt nicht nur jede Vielheit von Göttern, sondern es erklärt sie für unmöglich.
    Gott! Das ist das Absolute, mein Georgius, das schlechthin Unendliche! Wenn du nun, was ich mir soeben überlege, den Radius eines Kreises als unendlich annimmst, wird dann nicht sein Umfang, die Kreislinie, mit der Geraden zusammenfallen? Und bedeutet das etwas anderes, als dass sich in Gott alle Gegensätze aufheben? Dass er alle Fassungskraft unserer Vernunft unendlich übersteigt? Deshalb sagt ja auch Dionysius, der Areopagit, der einer der größten Theologen war, die wir Christen kennen: ›Nur im Schweigen können wir Gott bewundern, anschauen und verehren.‹«
    Als er das sagte, musste ich unwillkürlich an Guram denken. Berührten sich nicht die Gedanken dieser beiden Männer, die sich nie gesehen, nie gesprochen hatten, in wundersamer Weise? Hatte mich nicht auch der Ohm unzählige Male auf die Stellen des Korans aufmerksam gemacht, die mit dem Evangelium übereinstimmten? Hatte nicht auch er scheinbare Widersprüche in ihren Tiefen aufgelöst? Schon wurde mir ein weiterer Gleichklang bewusst:
    »Der Koran sagt mit andern Worten dasselbe: ›Allah umfasst alle Dinge mit seinem Wissen. Ein jedes auf Erden ist vergänglich – aber das Angesicht des Herrn voller Hoheit und Ehre bleibt bestehen … ›»
    »…wie in den Psalmen steht: ›Das Gras verdorrt, die Blume verwelket, aber das Wort unseres Gottes bleibet in Ewigkeit.‹«
    Dieser Dreiklang von Christentum, Judentum und Islam berührte uns beide so tief, dass wir lange schweigend beisammen blieben.
    Schließlich meinte er: »Wenn es die Menschen doch nur einsehen könnten, dass sie alle, wenn auch in verschiedener Weise, den gleichen Gott suchen und verehren und dass es jenseits aller Verschiedenheiten eine einzige, höchste, göttliche Wahrheit gibt, könnten wir den Frieden haben, Georgius! Doch während wir hier von diesem himmlischen Frieden träumen, schüren sie dort immer weiter an ihrem irdischen Hass.«
    Der Umschlag in seiner Stimme, ja in seinem ganzen Aussehen war so jäh, dass ich im Innersten erschrak. Sein breitknochiges Gesicht, das einen so gutmütig-sanften Ausdruck haben konnte, verfinsterte sich, das Feuer in seinen Augen wandelte sich in dunkle Glut.
    »Du musst wissen, Covare, was für Nachrichten wir erhalten haben. Herzog Filippo von Mailand ist in den Kirchenstaat eingefallen, die Colonna haben ihn mit offenen Armen empfangen und in Rom den Bürgerkrieg entfesselt. Selbst Fortebraccio, der Feldherr des Papstes, hat sich auf ihre Seite geschlagen. Die Orsini sind aus Rom vertrieben worden, viele Geistliche haben den Tod gefunden, es gibt wenig Kirchen, in denen noch gesungen

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