Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
und gebetet wird. Man sagt, dass in einigen sogar Heu und Hafer verkauft werde, doch das glaube ich nicht. Der Papst sitzt in der Engelsburg wie in einem Gefängnis.«
Ich muss gestehen, dass meine erste Regung auf diese Nachricht nicht dem Mitleid mit dem Papst galt, ja nicht einmal dem armen, so oft schon verwüsteten und zerstampften Rom. Denn mein Dämon flüsterte mir zu: Die Orsinis sind vertrieben! Und der alte Vicecamerlengo hat vielleicht noch dein erstes Gesuch. Doch als schon eine leise Hoffnung in mir aufzukeimen begann, hörte ich sein höhnisches Gelächter: Jawohl, das hat er. Und des Papstes größte Sorge ist jetzt die, sich damit zu befassen!
Ich muss ein äußerst bestürztes Gesicht gemacht haben, denn Nicolaus erhob sich und legte mir seine schmale Hand auf die Schulter.
»Vielleicht«, sagte er leise, »schlägt dieses Übel uns schließlich zum Heil aus. Oh, wenn Eugenius doch endlich begriffe, dass alles, was unsre heilige Versammlung anstrebt, auch zu seinem Besten dient! Er denkt, wir sind gegen ihn, wollen ihn schädigen und in seinen Rechten schmälern, wo wir können – und dabei sind doch jene, die der Kirche schaden, auch seine ärgsten und gefährlichsten Feinde! Und wenn die Kirche gereinigt und geheilt aus diesem Prozess hervorgeht, wem kann das nützlicher sein als ihrem Oberhaupt? Oh, wenn Eugenius doch mit uns zusammenarbeiten wollte, statt uns seine Anerkennung zu versagen, dann könnte das große Werk gelingen, nach dem Gott und die Welt schreit: Aussöhnung mit den Hussiten, Beendigung der Kriege und Fehden in allen christlichen Ländern durch schiedliche Schlichtung und die Generalreform der Kirche unseres Herrn.
Denn Christus lebt! Des bin ich ganz gewiss.«
Er sprach den letzten Satz fast wie ein Glaubensbekenntnis. Setzte dann aber mit weniger sicherer Stimme hinzu: »Christus lebt – aber die Christenheit ist krank bis ins Mark. Und der Doktoren sind zu viele.«
Ich gewann ihn sehr lieb, den Nikolaus von Kues. Er ist eines Moselfischers Sohn, aber Gott hat auch ihn zu einem Menschenfischer gemacht. Seine Worte weckten vieles in mir zu neuem Leben, was schon in Gefahr gewesen war, verschüttet zu werden. Wir schweiften mit unsern Gedanken in die Höhen und Tiefen von Zeit und Ewigkeit. Und über alles konnte ich mit ihm sprechen.
Über alles?
Ja, ich versuchte, auch meine eigene Lage mit ihm zu erörtern. Nicht geradeheraus allerdings, dazu war ich zu vorsichtig geworden. Ich sagte, ich hätte einen Scholaren gekannt, der ein Spurius gewesen wäre: Sohn eines Geistlichen und seiner Konkubine. Und er hätte nach beendetem Studium weder promovieren noch irgendein Amt erhalten können, hätte keinen andern Ausweg gefunden, als sich das Leben zu nehmen.
»Und hat nicht gewusst, dass er zu den Minoriten hätte gehen können? Die Franziskaner und Dominikaner nehmen doch jeden auf, der zu ihnen kommt, sofern er sich ihren Regeln unterwirft.«
»Und wenn er das nun eben nicht tun wollte? Nicht das Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ablegen? Vielleicht kannte er eine Frau, die ihn liebte und der er das Schicksal seiner Mutter ersparen wollte. Ein guter Hausvater wäre er geworden, hätte seine Kinder zu tüchtigen Menschen erzogen. Er war doch nicht schuld an seinem Unglück! Musste er da in die Verzweiflung getrieben werden«
»Ja, weißt du nicht, dass Gott sprach: ›Die Sünden der Väter will ich heimsuchen bis ins dritte und vierte Glied‹?« »Das steht nicht in den Evangelien! Dort steht nicht, dass ein Unschuldiger in Sünde gestoßen werden soll, sondern dass über einen Sünder, der Buße tut, mehr Freude im Himmelreich herrscht als über neunundneunzig Gerechte. Ja, dass Zöllner und Huren eher zu Gott finden werden als die Untadligen.«
»Und was folgerst du daraus? Etwa, dass jeder Mensch möglichst viele Sünden begehen soll, um desto eher ins Himmelreich zu kommen?«
Er sprang auf und ging erregt im Zimmer auf und ab. Unter seinem Überwurf, aus dem nur die mageren Arme hervorsahen, zuckten die Schultern.
»Wie soll denn der Verderbnis der Kirche gesteuert werden, wenn man die Kinder der Pfaffenhuren in alle Ehren unserer Gesellschaft aufnimmt? Wird das nicht die Priester, ja die Mönche und Nonnen zu immer schamloserem Verhalten ermutigen? Wird nicht Simonie, der Schacher mit geistlichen Ämtern und Pfründen, dieses Krebsgeschwür am Leibe der Kirche, noch ärgere Auswüchse treiben, wenn die Geistlichen beflissen sein werden,
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