Schatten im Park
sie weg. Pah, Horrorfilme! Die brauchte er nicht, er war selbst eine Horrorfigur. Der Schrecken der Polarnacht. Er lauschte an der Tür, bis er sicher sein konnte, dass seine Eltern weggefahren waren. Dann zog er das Kostüm unter dem Bett hervor. Es sah wirklich grausig aus. Micha sperrte die Haustür auf und sah vorsichtig nach links und rechts. Der Gehsteig, die Straße waren leer. In den Gärten der Nachbarhäuser war alles finster. Nicht einmal die Hausbeleuchtungen waren eingeschaltet. Klar, Halloween. Erwachsene wollten diesen Spuk nicht. Sollten ein paar Kinder mit ihren Kostümen herumstreunen, so würden sie nicht einmal zu den Haustüren finden, um Unfug zu treiben. Sie hatten nur das Licht der Straßenlaternen an diesem milden Spätherbstabend.
„Wartet, ihr werdet mich noch kennen lernen!“, knurrte Micha.
Allerlei Gespenster
Ohne es wirklich zu wollen, war Benji Richtung Park gegangen. „Spitze“, dachte er. „Heute stört mich niemand. Hier ist mein Reich!“ Der Park war schlecht beleuchtet, und so schimmerte der Pavillon nur schwach herüber. Benji beschloss, ihn eine Weile im Auge zu behalten. Er sah sich nach einem bequemen Versteck um. In der Mauer hinter dem kleinen Park gab es einige Lücken. Manche waren so ausgebrochen, dass man auf den restlichen Steinen wie auf einem Sessel sitzen konnte. Benji brauchte nur ruhig da zu bleiben. Das war wie in einem Horrorfilm! Er würde zu einem Teil der alten Parkmauer werden. Vollkommen unsichtbar. Und wenn jemand näher käme, würde ein Teil der Mauer lebendig werden. Ein schöner Schock für den, der beim Pavillon herumschnüffeln wollte! Das war noch besser, als verkleidet herumzuschleichen. Obwohl … Benji wurde es auf einmal unangenehm warm bei dem Gedanken, dass heute die ideale Nacht für Gauner war, die ungestört ihren trüben Geschäften nachgehen wollten. Es war nicht besonders kalt und vor allem: Die Straßen waren menschenleer. Vielleicht hatten die Leute wirklich Angst vor Geistern in dieser Nacht vor Allerheiligen. Er war fast sicher, dass er „Besuch“ beim Pavillon bekommen würde. War es nicht doch zu gefährlich? Er schüttelte energisch den Kopf. „Hosenscheißer“, murmelte er zu sich selbst, „du kennst dich in der Gegend super aus. Wenn dich jemand hier entdeckt, kannst du sofort abhauen.“ Er fand gleich eine passende Lücke und zwängte sich hinein. Nicht zu nahe am Lusthaus, dazu ein perfekter Fluchtweg durch den angrenzenden kleinen Obstgarten, an der aufgelassenen Autowerkstatt vorbei auf die Straße. Jetzt konnte kommen, wer wollte!
Sein Wunsch wurde im nächsten Augenblick erfüllt. Eine Gestalt löste sich aus der dunklen Seitengasse gegenüber. Im schwachen Licht der Straßenlaterne konnte Benji die Umrisse ihres Kopfes klar erkennen. Er sah aus wie der Schädel eines Hammerhais, auf beiden Seiten eckige Auswüchse. Der falsche Hammerhai überquerte die Straße und betrat den Park. Benji machte sich ganz klein, sein Atem ging flach, seine Hände zitterten. Die Gestalt blieb stehen. Sie blickte nach links, nach rechts, ging langsam weiter. Die Kreatur kam direkt auf Benji zu. Sie konnte ihn doch nicht sehen?
Ein scharfer Pfiff zerriss die Stille. Der falsche Hai zuckte zusammen, wuselte erstaunlich rasch zur Straße zurück und verschwand hinter dem nächsten Haus.
Benji hörte als Nächstes ein Schlurfen, Scharren von der linken Seite der Straße. Etwas Unförmiges, entsetzlich Dickes humpelte in Benjis Blickfeld. Dieses Wesen schleppte einen merkwürdigen Schwanz nach, der wie ein Schlangenknäuel aussah. „Eingeweide!“, raunte Benjis Fantasie. „Stofffetzen, Lumpen!“, knurrte Benjis Verstand. Das aufgedunsene Geschöpf krabbelte wie ein verletzter Riesenkäfer vorbei. Sein Schwanz führte ein seltsames Eigenleben. Er hüpfte über Hindernisse, blieb hängen und folgte dann mit einem jähen Ruck seinem Besitzer.
Halloween. Nur Halloween. Da hatten sich wohl mehrere seiner Schulkollegen entschlossen, als Wesen der Anderwelt die Nacht unsicher zu machen! Wieder gellte ein scharfer Pfiff durch die Nacht. Auch der plumpe Geist verschwand. Das Letzte, was Benji von ihm sah, war sein auf und ab hüpfender Schwanz.
Micha klopfte leise an Issis Haustür. Er wartete. Nichts rührte sich. In Issis Zimmer brannte Licht, das übrige Haus lag im Dunkel. Sollte er es an der Terrassentür versuchen? Die Sehschlitze seines Kostüms waren ziemlich klein. Er musste verdammt aufpassen, dass er nicht auf sein
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