Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
gewartet, bis ich darauf trinken konnte.«
Die Tage vor den Bluegrass Stakes vergingen wie im Flug. Kelsey lernte unzählige Leute kennen und stand jeden Tag in der Morgendämmerung auf, um das Training zu verfolgen und Pride mit jedem anderen der Pferde zu vergleichen. Sie musterte die Jockeys, bewertete die Trainer und entlockte Boggs alles an Informationen und Spekulationen, die dieser in Erfahrung bringen konnte.
Sooft sie Gelegenheit dazu hatte, versuchte sie, den armen Reno in die Enge zu treiben, fragte ihn über seine Strategie aus und quälte ihn mit tausenderlei Fragen, was die Form der Pferde, der Zustand der Bahn und dergleichen mehr betraf.
»Sag mal«, fragte er sie schließlich entnervt, »wer reitet eigentlich diesen Hengst, du oder ich?«
Kelsey verzog schmollend die Lippen. Die zwei standen gerade bei Pride und führten heiße Diskussionen. »Du natürlich. Aber . . .«
»Aber dir wäre es lieber, wenn du die Zügel in der Hand hättest.«
Kelsey mußte lächeln. »Kann schon sein.« Sanft streichelte sie Prides warme, weiche Nase. »Vermutlich hat mich das Fieber auch schon gepackt.«
»Du glühst förmlich davon.« Reno hakte die Daumen in die Taschen seines dunkelblauen Seidenanzugs.
»Aber das gehört einfach dazu, oder nicht? Die Unruhe, der Ehrgeiz.« Sie holte einen Apfel, den sie extra aufgehoben hatte, aus der Tasche und hielt ihn Pride hin. »Und die Liebe.«
»Es packt dich, ohne daß du dich wehren kannst«, stimmte Reno ihr zu. Was hatte es für einen Sinn, ihr zu erklären, daß später andere Dinge wichtiger wurden. Die Tricks, die Quoten, die Wetten. Sie würde schon noch von selbst dahinterkommen, dachte er und gab ihr einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. »Halt du unseren Jungen bei Laune, Kindchen. Erinnere ihn an diesen Hengst aus Kentucky. Bring ihn in Stimmung.«
Winkend verließ Reno den Stall.
»Laß dir wegen dieser Eintagsfliege keine grauen Haare wachsen«, beruhigte Kelsey Pride. »Der kann sich mit dir nicht messen.« Pride verspeiste seinen Apfel und war offensichtlich ganz ihrer Meinung.
Midnight Hour, ein in Kentucky gezüchteter junger Hengst, galt als lokaler Favorit. Er hatte überraschend das Derby von Florida gewonnen und dabei sowohl Pride als auch Double um eine Halslänge geschlagen. Der kleine, schreckhafte Hengst war Held der örtlichen Presse.
Und ein herrliches Tier, wie Kelsey zugeben mußte. Klassischer Bau, schwer einzuschätzende Tagesform und feurige Augen. Er trug während des Rennens Scheuklappen, da er sich allzu leicht irritieren ließ. Aber er war schnell, das hatte sie selbst gesehen.
Auch Cunninghams Stute hatte ihre Fans. Man mußte ja nicht auch noch den Besitzer bewundern, wenn einem das Pferd gefiel. Big Sheba hatte Charakter und Courage, und sie donnerte wie ein Tornado über die Bahn. Doch ihr gequältes Keuchen nach jedem Training beunruhigte Kelsey sehr.
Die anderen Konkurrenten waren gleichfalls nicht zu unterschätzen, vor allem Gabes Double. Doch Kelsey setzte voll und ganz auf Pride, nicht allein aus Loyalität,
noch nicht einmnal aus purer Liebe. Sie schmeichelte sich, daß sie unter Moses’ Anleitung langsam ein Gespür für Pferde entwickelte. Ein Pferd wie Pride fand man einmal unter Tausenden, ebenso wie ihre Honor, davon war sie fest überzeugt.
Am Renntag stand sie neben ihrer Mutter und hoffte, daß sie ebenso zuversichtlich war.
»Heute morgen hat er einen hervorragenden Eindruck gemacht.«
Kelsey holte tief Atem. Eigentlich wollte sie die Parade, das Schauspiel, die Vorfreude genießen, doch sie konnte nicht stillstehen. Und erst recht nicht den Mund halten.
»Moses hat Reno angewiesen, ihn etwas zurückzuhalten, um ihn so anzuspornen. Die Bahn ist hart und schnell, genau richtig für ihn. Ich hab’ mich ein bißchen umgehört, Midnight Hour ist zwar der Hoffnungsträger des hiesigen Publikums, aber die Fachleute schätzen Pride und Double als gleichwertig ein.« Aufgeregt fuhr sie sich mit der Hand über den Mund. »Aber Sudden Force könnte uns Probleme bereiten, das ist der Kastanienbraune aus Arkansas. Und Cunninghams Big Sheba dürfen wir auch nicht unterschätzen.«
Amüsiert und beeindruckt zugleich strich Naomi ihrer Tochter beruhigend über den Arm. »Einmal tief Luft holen. In ein paar Minuten ist alles vorrüber.«
»Da komme ich ja gerade noch rechtzeitig, um meinen beiden Frauen Glück zu wünschen.« Gabe drängte sich zwischen sie und gab jeder einen Kuß. »Die Quoten
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