Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
küßte sie, ehe sie ausweichen konnte. »Das gefällt mir.«
»Meiner Familie nicht. Großmutter stürmte wutentbrannt aus dem Zimmer, mein Vater war am Boden zerstört und Candace stinksauer. Wir sind schon häufiger aneinandergeraten, doch diesmal verteilte sie gezielte Hiebe. Und die haben gesessen. Je länger ich hierbleibe, desto mehr schade ich der Familie. Und da ich zu störrisch bin, um nachzugeben, gehe ich auch keinen Kompromiß ein.«
»Manchmal gibt es keine Kompromisse.«
»Nette, umgängliche Menschen finden immer welche.«
Jetzt wußte Gabe nicht weiter. Ein Familienzwist, hinsichtlich familiärer Probleme hatte er kaum Erfahrung.
»Ist dir schon einmal aufgefallen, daß deine Familie auch keinen Konmpromiß eingeht?« Er beobachtete sie, als sie sich langsam zu ihm umdrehte. »Alles oder nichts. Im Grunde genommen wollen sie nur, daß du dich all ihren Wünschen beugst.«
»Ich . . . so habe ich das noch nie gesehen.«
»Nein, du bist ja auch so kalt und unnachgiebig, daß du dich automatisch für alles verantwortlich fühlst. Egal ob sie dir die Schuld geben, dir mit Enterben drohen, dir einreden, daß du nur an dich denkst, du meinst, alles ist dein Fehler.«
Kelsey konnte sich nicht erinnern, daß bisher jemand ihre Partei ergriffen hatte, wenn es um die Familie ging. Wade schon gar nicht. Immer hatte man sie beschuldigt, alle Unstimmigkeiten zu verursachen. Seltsam, daß ihr nie zuvor aufgefallen war, daß ihre Familie ebenso unerbittlich auf ihren Forderungen beharrte wie sie selbst.
»Ihrer Meinung nach tue ich nur, was ich will, ohne Rücksicht auf . . .«
»Ohne Rücksicht auf was?« hakte Gabe nach. Zwar hatte er nie eine Familie gehabt, die sich schützend vor ihn stellte, dafür war er aber auch von Verpflichtungen und Schuldzuweisungen verschont geblieben. »Ohne Rücksicht darauf, daß immer beide Seiten Zugeständnisse machen müssen. Wenn du jetzt brav mit dem für dich ausgewählten Zahnarzt auf den Ball gegangen wärst, hätte das etwas geändert?«
»Nein«, gab sie nach einer Weile reiflicher Überlegung zu. »Die nächste Szene wäre nur etwas aufgeschoben gewesen, gegeben hätte es sie auf jeden Fall.«
»Bleibst du hier, um ihnen eins auszuwischen?«
»Natürlich nicht!« Beleidigt warf Kelsey den Kopf in den Nacken. »Natürlich nicht«, wiederholte sie gedämpfter. »Das muß dir doch alles ziemlich lächerlich vorkommen, dieses Getue um Anstandsregeln und Traditionen.«
»Nein, ich finde nur, daß du dich lange genug mit Selbstvorwürfen gequält hast. Na, fühlst du dich besser?«
»Viel besser.« Kelsey seufzte erleichtert. »Ich bin froh, daß du noch nicht weggefahren bist, Slater.«
»Ich wollte dich unbedingt vorher sehen.« Seine Finger glitten sanft über ihren Nacken, und sie bekam eine Gänsehaut. »Du bringst meinen Zeitplan vollkommen durcheinander, Kelsey.«
»Ach ja?« Sie schaute unverwandt auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
»Ich denke schon an dich, ehe ich morgens die Augen aufschlage. Vermutlilch gibt es drei Situationen, in denen ein Mann am verwundbarsten ist: Wenn er betrunken ist, wenn er mit einer Frau schläft und kurz bevor er aufwacht. Ich trinke nicht, und seit ich dich kenne, habe ich ein großes Verlangen nach dir. Du beherrschst alle meine Gedanken. Jetzt bin ich schutzlos.«
Selten hatte jemand so tiefe Gefühle in ihr geweckt, romantische wie auch sexuelle. Während er sprach, hatte sie den Blick nicht von ihm gewandt, verzaubert von dieser weichen, lockenden Stimme. Nun war auch sie gefangen, war auch sie schutzlos.
»Du machst mir angst!« Es war heraus, ehe sie es verhindern konnte. Aber sofort wurde ihr klar, daß es stimmte.
»Dann geht es dir wie mir.«
Er umfaßte ihr Gesicht und strich mit den Fingern langsam ihr Haar zurück, kostete den Augenblick aus. Vogelgezwitscher, Frühlingsblumen, goldene Nachmittagssonne. Dann ihr Mund auf dem seinen, ein leises Stöhnen.
»Was ich empfinde, wenn ich dich küsse, erschreckt mich fast zu Tode.« Von widerstreitenden Gefühlen überwältigt, lehnte er seine Stirn gegen ihre. »Und daß ich es immer wieder tun möchte, erschreckt mich fast noch mehr.«
»Mich auch. Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen. Ich habe über so vieles nachzudenken.«
»Für mich gibt es nichts mehr zu überlegen, Kelsey.«
Als sie wieder zu Atem kam, nickte sie ruhig. »Eigentlich gibt es das auch nicht.« Fast bedauernd machte sie sich los. »Viel Glück in
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