Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
gleich wieder weg.
Sowie er allein war, atmete Rooney tief durch, griff in seine Tasche und holte eine Magentablette hervor. Doch sie würde die aufsteigende Übelkeit auch nicht lindern können.
Wie konnten sich die Dinge nur so gegen ihn wenden? Nach all diesen Jahren. Dreiundzwanzig Jahre lang hatte er sich strikt an seine Anweisungen gehalten, war nicht von seinem Weg abgewichen. Und jetzt sah es so aus, als würde ihm diese eine Nacht, die so lange zurücklag, zum Verhängnis werden.
Als der Summer ertönte, schrak er zusammen und verfluchte sich selbst. Es half ihm nicht weiter, wenn er die Nerven verlor, und er drückte auf den Knopf.
»Mr. Rooney, hier ist ein Herr, der Sie sprechen möchte. Er hat keinen Termin, behauptet aber, ein alter Freund zu sein. Ich soll Ihnen sagen, Rich ist hier.«
»Ich kenne keinen . . .« Wieder wurde sein Mund trokken und seine Handflächen feucht. Einen verzweifelten Moment lang blickte er sich um, auf der Suche nach einem Fluchtweg. Aber es gab keinen.
»Schicken Sie ihn rein, und stellen Sie keine Anrufe mehr durch.«
»Ja, Sir.«
Rich strahlte übers ganze Gesicht, als er Rooneys Büro betrat. »Lange nicht gesehen, was?«
»Was willst du hier?«
Rich setzte sich und legte die Füße auf den Tisch. »Hast ein bißchen zugenommen, wie ich sehe, Charlie. Steht dir aber gut. Siehst nicht mehr wie’ne Vogelscheuche aus. Wie wär’s, wenn du einem alten Kumpel einen Drink anbieten würdest?«
»Was willst du?« fragte Rooney erneut.
»Nun, als erstes könntest du mir erzählen, was mein Junge und seine hübsche Kleine von dir wollen«, Rich nahm sich eine Zigarette, »dann sehen wir weiter.«
»Ich fühle mich jetzt auch nicht besser«, meinte Kelsey, als sie ins Auto stieg. »Soll ich mich freuen, daß mein Vater den Mann zwar engagiert, sich aber ansonsten vornehm im Hintergrund gehalten hat? Oder soll ich erleichtert sein, daß er nichts mit Rooney oder Alec Bradley zu tun hatte?«
»Vielleicht solltest du dich fragen, warum Rooney so nervös war.«
»Nervös? Er kam mir kalt, abweisend und verärgert vor, aber nicht nervös.«
»Er mußte die Hände falten, um sie ruhig halten zu können.« Gabe setzte den Jaguar rückwärts aus dem Parkplatz. »Die Klimaanlage in seinem Büro arbeitete auf Hochtouren, trotzdem hat er geschwitzt. Und er hat die Zähne so fest aufeinandergebissen, daß ein Muskel an seinem Mundwinkel zuckte.« Er bezahlte die Parkgebühr und bog um die Ecke. »Solche Kleinigkeiten haben ihn verraten. Und seine Augen. Er wirkte wie ein Mann, der nur miese Karten auf der Hand hat und trotzdem blufft.«
Neugierig und fasziniert zugleich musterte Kelsey ihn. »Hast du das alles beim Glücksspiel gelernt?«
»Das ist Beobachtungsgabe. Irgendwas hat ihm Angst eingejagt.«
»Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was das war.« Sie seufzte. »Halt bitte an der nächsten Telefonzelle an, Gabe. Ich muß meine Familie zusammentrommeln.«
Milicent nahm den Sherry, den ihr Sohn ihr eingegossen hatte, und tätschelte ihm großmütig die Hand. »Sie ist letztendlich doch zur Vernunft gekommen. Schau nicht so bekümmert drein, Philip. Ich bin durchaus bereit, die letzten Monate aus meinem Gedächtnis zu streichen. Schließlich ist sie eine Byden.« Seufzend lehnte sie sich zurück und nippte an ihrem Sherry. »Blut ist dicker als Wasser.«
»Ich hoffe nur, daß sie Channing mitbringt.« Candace ging zum Fenster und zupfte ungeduldig an der Spitzengardine herum. »Ich sehe keinen Grund, warum er auf der Farm bleiben sollte, wenn Kelsey nach Hause kommt.«
»Channing tut das, was er für richtig hält.« Liebevoll legte Philip seiner Frau eine Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte sie sie abgeschüttelt, aber etwas in ihrem Inneren konnte den Gedanken an weitere böse Worte zwischen ihnen nicht mehr ertragen.
»Ich möchte, daß er glücklich ist, Philip. Das weißt du.«
»Natürlich möchtest du das.«
»Der Junge wird schon einlenken«, versicherte Milicent ihnen. »Jugendlicher Trotz, das ist alles. Er, als Tierarzt. Also wirklich, glaubt mir, das geht vorbei.«
Mit einer eleganten Handbewegung tat sie Channings Traum ab. »Es gab mal eine Zeit – kaum vorstellbar – als Philip noch ein Junge war und Baseballspieler werden wollte. Ausgerechnet! – Erinnerst du dich noch, mein Lieber?«
»Ich erinnere mich sehr wohl«, murmelte Philip. Sechzehn war er damals gewesen, und er hatte, obwohl er wie ein Bücherwurm aussah,
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