Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
»Alles Gute, für euch beide.«
27
»Eine reizende Familie hast du da, Liebling.«
Als Gabe den Wagen in der Einfahrt von Three Willows geparkt hatte, stieg Kelsey aus und schloß betont behutsam die Tür. »Okay, Gabe, das ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um anzüglich zu werden.«
»So war das auch nicht gemeint. Ich habe dich die eine Hälfte der Fahrt Gift und Galle spucken und die andere Hälfte vor dich hinbrüten lassen. Ich finde, jetzt reicht’s.«
Sie war aber noch lange nicht fertig. »Es ging ja nicht nur um mich. Im Grunde genommen ging es überhaupt nicht um mich, sondern um dich.«
»O Mann.« Mit einer ganz selbstverständlichen Bewegung legte er ihr den Arm um die Schulter. »Man hat mich schon mit viel mehr Dreck beworfen. Sie hat noch nicht einmal die Tänzerin in Reno oder diese Geschichte in El Paso zur Sprache gebracht.«
»Darum geht es ja gar nicht.« Auf der ersten Treppenstufe blieb Kelsey plötzlich wie angewurzelt stehen. »Was für eine Tänzerin?«
»Da horchst du auf, was?« Er drückte sie versöhnlich an sich. »Jedenfalls haben mir dein Vater und deine Stiefmutter gefallen, und das sind zwei von drei Mitgliedern deiner Familie.«
Kelsey konnte ihn nur verblüfft anstarren. »Du bist nicht böse, du bist nicht einmal wütend, trotz allem, was sie getanhat? Gabe, sie hat einen Detektiv angeheuert, um in deinem Privatleben herumzuschnüffeln, um ein Dossier über dich zusammenzustellen, als ob du ein Verbrecher wärst.«
»Und was hat sie damit erreicht? Du weißt bereits das Schlimmste über mich, und sogar in diesen Punkten hast du mich verteidigt.«
»Das ist keine Entschuldigung für ihr Verhalten.«
»Aber es nimmt ihm die Bedeutung. Sieh mal, ich kann
sie in gewisser Hinsicht sogar verstehen. Ich hatte ja nie eine Familie, die ich verteidigen mußte.«
Wieder blieb Kelsey stehen. »Du nimmst sie noch in Schutz?«
»Nein. Aber ich denke, sie hat sich falsch verhalten, und dieser Fehler hat sie weit mehr gekostet als mich.«
Kelsey blies ihr Haar aus der Stirn. »Vielleicht brauche ich etwas mehr Zeit, um meine Vorurteile abzubauen – Holst du bitte mein Kleid aus dem Auto? Ich will es Naomi zeigen, dann kann ich heute wenigstens einen Menschen glücklich machen.«
»Ich könnte euch beide ja zum Essen ausführen.« Gabe fühlte den Ring an ihrem Finger, es gefiel ihm, ihn dort zu sehen. »Dann feiern wir.«
»Warum nicht? Ich werd’s ihr sagen.«
Sie eilte ins Haus und schüttelte sich kurz, wie um die unangenehmen Ereignisse des Tages loszuwerden. Als sie schon halb auf der Treppe war, rief Naomi nach ihr.
»Ach, da bist du ja.« Eine Hand auf das Geländer gelegt hastete Kelsey wieder nach unten. »Du hattest wegen des Kleides vollkommen recht. Gabe holt es gerade aus dem Auto, und dann will er uns zum Essen ausführen. Wollen wir versuchen, Moses auch mitzuschleifen?«
Naomi stand mit verschränkten Armen in der Halle. »Wir müssen miteinander reden. Es wäre besser, wenn wir uns setzen.«
»Was ist passiert? Doch nichts mit einem der Pferde! Justice hat böse gehustet, aber ich habe ihn genauso behandelt, wie Moses gesagt hat.«
»Es geht nicht um die Pferde, Kelsey. Komm bitte herein und setz dich.«
Die Fremde war wieder da; jene kühle, beherrschte Frau, die ihr bei ihrer ersten Begegnung Tee angeboten hatte. Verblüfft folgte Kelsey ihr. »Du bist mir wegen irgend etwas böse.«
»Böse ist nicht das richtige Wort.« Naomi blickte zu Gabe, der eben zur Tür hereinkam. »Wir sollten das besser unter vier Augen besprechen.«
»Ich habe vor Gabe keine Geheimnisse.«
»Nun gut.« Naomi ging zum Fenster und schaute hinaus, um Kraft zu sammeln. Sie würde jetzt jedes Quentchen Selbstbeherrschung brauchen. »Während du weg warst, kam ein Anruf für dich. Gertie hat ihn entgegengenommen und dir eine Nachricht auf den Tisch in deinem Zimmer gelegt. Vor ein paar Minuten bin ich hineingegangen, um eine Gästeliste zu holen.«
Mit ausdruckslosem Gesicht drehte sie sich um. »Es tut mir leid, daß ich den Zettel gelesen habe. Es war keine Absicht, er lag einfach da, und ich habe zufällig draufgeschaut.«
»Sag mir doch einfach, wer angerufen hat.«
»Charles Rooney. Es war angeblich dringend. Du sollst dich so schnell wie möglich mit ihm in Verbindung setzen.«
»Dann werde ich mich besser sofort darum kümmern.«
»Einen Moment.« Naomi hob eine Hand. »Nach mehr als zwanzig Jahren kann ich kaum glauben, daß es so dringend ist. Du warst bei
Weitere Kostenlose Bücher