Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
weggeräumt. Heute lief ein Spätfilm mit Bette Davis im Fernsehen, Reise aus der Vergangenheit. Ich hab’ dabei eine ganze Packung Taschentücher verbraucht.« Bei diesem Gedanken seufzte Gertie glücklich. »Heutzutage werden solche Filme gar nicht mehr gemacht, Miss Kelsey.«
»Nein.« Kelsey ging zum Herd, nahm den Kessel und ließ an der Spüle Wasser hineinlaufen.
»Sind sonst schon alle im Bett?«
»Möchten Sie Tee? Lassen Sie mich das machen.«
Gertie schob Kelsey zur Seite und setzte selbst den Kessel auf. »Channing ist mit Matt Gunner unterwegs. Tennessee Walker von den Williams hat eine Lungenentzündung. Sie wissen noch nicht, ob er durchkommt.«
»Ach, das tut mir leid.«
»Verdammt schade um das Tier, das ist schon richtig.« Gertie wärmte geschäftig eine Porzellantasse an, während sie darauf wartete, daß das Wasser kochte. »Aber ich muß sagen, Channing schien von der Vorstellung, die halbe Nacht im Stall verbringen zu können, begeistert zu sein. Ich hab’ ihm gesagt, ich lasse ihm die Küchentür offen und stelle ihm eine Platte mit kaltem Hähnchen in den Kühlschrank.«
»Dann ist er garantiert im siebten Himmel.«
»Es ist eine Freude, ihn hier zu haben.«
»Das ist es für mich auch. Ich brauche zwei Tassen, Gertie. Ich will meiner Mutter eine hochbringen.«
»Oh, sie schläft schon, Kindchen.« Gertie griff nach einer Dose und maß den Tee nach Gefühl ab. »Sie wirkte so erschöpft und hatte sich über irgend etwas so aufgeregt, daß ich ihr vor einer Stunde eine Schlaftablette geben mußte.«
»Eine Schlaftablette?«
»Sie sagte, ich würde nur unnötiges Aufheben machen, aber sie gefiel mir gar nicht, sah ausgelaugt und blaß aus. Ihr fehle nur Schlaf, sagte ich ihr. Ich wollte noch einmal nach ihr sehen, ehe ich zu Bett gehe.«
»Ich mach’ das schon.« Kelsey sah die Teekanne mit gemischten Gefühlen an. »Dann eben nur eine Tasse, Gertie. Ich spreche morgen früh mit ihr.«
»Dann geht es ihr bestimmt besser. Vermutlich ist sie nur übermüdet.« Gertie arrangierte Kanne, Tasse und Untertasse auf einem Tablett. »Sie sah in den letzten Monaten besser und glücklicher aus als je zuvor. Das liegt an Ihnen. Für eine Mutter zählt eben nur ihr Kind.«
»Jetzt bin ich ja hier.«
»Ich weiß. Bleiben Sie nicht so lange auf.«
»Bestimmt nicht. Gute Nacht, Gertie.«
Kelsey trug das Tablett nach oben und stellte es in ihrem Zimmer ab, ehe sie nach ihrer Mutter schaute. Im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster schien, konnte sie sehen, daß Naomi tief und fest schlief.
Dann also morgen früh, dachte sie und zog sich in ihr eigenes Zimmer zurück, um auf die erste Morgenröte zu warten.
Gabe ging nicht ins Haus, sondern machte sich direkt auf den Weg zum Stall. Über der Sattelkammer brannte noch Licht. Grimmig umrundete er das Gebäude und stieg die Stufen empor. Anklopfen tat er nicht.
Jamison saß an seinem Schreibtisch, auf dem sich der Papierkram stapelte. Ein Glas Brandy stand in Reichweite. Er blickte hoch und blinzelte wie eine Eule.
»Gabe. Was führt dich denn so spät hierher?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen.«
»Ach, weißt du, irgend etwas liegt immer an.« Mit einem müden Lächeln deutete Jamison auf den Papierstapel. »Nachts kann ich mich besser konzentrieren, dann ist alles ruhig. Hinter dir steht ein Glas mit Instantkaffee«, fügte er hinzu. »Da auf dem Kocher kannst du Wasser heißmachen.«
»Nein.« Im gelblichen Licht der Schreibtischlampe musterte Gabe seinen Trainer und Freund. Die Anspannung der letzten Monate hatte ihren Tribut gefordert. Tiefe Schatten lagen unter Jamisons Augen, und die harten Linien um seinen Mund wirkten so, als hätte sie jemand mit dem Messer eingeschnitzt.
Das war nicht das Gesicht eines Mannes, der den jüngsten Triple-Crown-Sieger ausgebildet hatte.
»Ich hab’ viel in den Ställen rumgehangen, als ich hier noch gearbeitet habe, was, Jamie? Bei dir und Mick.«
»Ich erinnere mich noch gut.« Jamisons Schultern, die sich unter Gabes prüfendem Blick verkrampft hatten, entspannten sich wieder. »Oder du hast uns zu einem Pokerspiel überredet und uns dann einen Wochenlohn abgeknöpft.«
»Cunningham war ja nie zufrieden. Wenn du einen Sieger trainiert hast, wollte er zwei. Immer ein noch größeres Rennen, noch größere Prämien. Ich erinnere mich, wie er immer sagte, der Moses drüben auf Three Willows wüßte, wie man Pferde zu Champions macht. Und wenn du das nicht auch fertigbrächtest,
Weitere Kostenlose Bücher