Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
mir das toll vor. Sich in den Ställen herumzutreiben, hier und da eine kleine Wette zu riskieren . . . Ich hätte nichts dagegen, ein paar Wochen auf dem Land zu verbringen.«
»Du könntest mich besuchen kommen. Ich würde mich freuen.«
»Ist das alles, woran du denken kannst?« Aufgebracht legte Milicent ihre Gabel beiseite. »An dein persönliches Vergnügen? Hast du eigentlich eine Ahnung, was du deinem Vater antust?«
»Mutter . . .«
Doch Milicent wischte Philips Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. »Nach all dem Kummer, den uns diese Person bereitet hat, muß sie jetzt nur mit den Fingern schnippen, und Kelsey kommt angerannt. Es ist unfaßbar.«
»Sie hat keineswegs einfach nur mit den Fingern geschnippt.« Unter dem Tisch ballte Kelsey die Fäuste. Fahr
nicht aus der Haut, ermahnte sie sich. »Sie bat mich um einen Besuch, und ich war einverstanden. Es tut mir leid, wenn du dich verletzt fühlst, Dad.«
»Es ist eher so, daß ich mir Sorgen um dich mache, Kelsey.«
»Ich frage mich . . .« In der Hoffnung, Milicent zu beschwichtigen und wenigstens den Rest des Abends zu retten, meldete Candace sich zu Wort. »Mußt du denn wirklich dort wohnen, Kelsey? Schließlich liegt die Farm nur eine Stunde von hier. Du könntest es langsamer angehen lassen und ab und zu über’s Wochenende hinfahren.« Sie blickte zu Philip, um seine Reaktion zu sehen, dann lächelte sie Kelsey bittend an. »Das erscheint mir wesentlich vernünftiger.«
»Wenn sie nur einen Funken Verstand hätte, wäre sie nie dorthin gefahren.«
Kelsey verbiß sich ein Seufzen und lehnte sich zurück. »Es ist ja nicht so, als ob ich einen Vertrag unterschrieben hätte. Ich kann jederzeit wieder gehen. Aber ich will hinfahren.« Das galt ihrem Vater. »Ich will herausfinden, wer sie wirklich ist.«
»Kann ich verstehen«, stimmte Channing mit vollem Mund zu. »Wenn ich erfahren hätte, daß meine totgeglaubte Mutter noch am Leben ist und ’ne Zeitlang gesessen hat, würde ich auch so handeln. Hast du sie gefragt, wie’s im Bau so ist? Ich liebe diese Filme, die von Frauen im Knast handeln.«
»Channing!« flüsterte Candace entsetzt. »Du bist geschmacklos!«
»Ich bin bloß neugierig.« Er spießte eine goldgelbe Frühkartoffel auf die Gabel. »Ich wette, der Fraß im Gefängnis ist ätzend.«
Kelsey lachte laut auf. »Ich verspreche dir, sie danach zu fragen. Sagt mal, sind Channing und ich hier die einzigen, denen das Ganze nicht wie eine Szene aus einem Rührstück vorkommt? Seid doch froh, daß ich meinen Schock nicht auf der Couch eines Psychiaters verarbeite oder in Alkohol ertränke. Ich bin schließlich diejenige, die
die neue Situation am stärksten belastet, aber ich tue mein Bestes, um damit fertig zu werden.«
»Du denkst nur an dich«, zischte Milicent mit zusammengekniffenen Lippen.
»Ganz recht. Ich denke an mich.« Was zuviel war, war zuviel, entschied Kelsey und stand vom Tisch auf. »Vielleicht interessiert es dich ja, daß sie kein einziges böses Wort über dich verloren hat«, sagte sie zu ihrem Vater. »Es gibt keine hinterhältige Verschwörung, die mich gegen dich aufwiegeln soll. Das wäre auch gar nicht möglich.« Sie beugte sich zu ihrem Vater und küßte ihn auf die Wange. »Danke für das Essen, Candace. Ich muß jetzt wirklich nach Hause und packen. Channing, ruf mich an, wenn du ein freies Wochenende hast. Gute Nacht, Großmutter.«
Sie eilte hinaus. Als die Tür hinter ihr zufiel, holte sie tief Luft. Der Geruch der Freiheit, dachte sie, und sie würde sie genießen.
Als Kelsey am nächsten Morgen in Three Willows ankam, öffnete Gertie die Tür. »Da sind Sie ja!« Sie nahm Kelsey den Koffer aus der Hand, ehe sie protestieren konnte. »Miß Naomi ist bei den Ställen. Wir wußten nicht genau, wann Sie kommen, aber ich soll ihr sagen, wenn Sie da sind.«
»Nein, laß nur. Sie ist sicher beschäftigt. Ich nehme dir den Koffer ab, er ist schwer.«
»Ach wo, ich bin kräftig wie ein Pferd.« Gertie hob den Koffer an. »Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer.«
So klein und dünn sie auch war, mühelos stieg Gertie die Stufen empor, munter weiterschwatzend. »Alles ist vorbereitet. Es tut gut, wieder etwas zu tun zu haben. Miß Naomi kümmert sich wenig ums Haus. Braucht mich eigentlich gar nicht.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Oh, als Gesellschafterin schon. Aber sie ißt wie ein Spatz und macht fast alles selbst, ehe ich es ihr abnehmen kann.« Gertie führte den Gast
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