Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
unterdrücken. Sie schnürt dir die Kehle zu, daß du glaubst, nicht mehr atmen zu können. Du stehst da und gibst dich so gelassen und zuversichtlich wie möglich, denn du weißt, daß alle Blicke auf dir ruhen. Doch deine Knie werden weich wie Butter, und wenn du dann das Wort ›Schuldig‹ hörst, fühlst du plötzlich nur noch eine große Leere in dir.«
Wieder holte sie tief Atem. »Jetzt kannst du sicher verstehen, daß ich es nie wieder mit der Polizei zu tun haben möchte.« Einen Moment lang schwieg sie, erwartete aber keine Antwort. Dann fuhr sie fort: »Weißt du, daß du als Kind immer hierhergekommen bist? Ich hab’ dich auf den Zaun gehoben, damit du die Fohlen besser beobachten konntest.«
»Es tut mir leid.« Plötzlich überkam Kelsey eine tiefe Trauer. »Ich kann mich nicht erinnern.«
»Macht ja nichts. Siehst du das Hengstfohlen da, das in der Sonne liegt, das kleine schwarze? Es ist ein Champion, das wußte ich schon bei seiner Geburt. Vielleicht wird das Pferd mal eines der besten aus der Three-Willows-Zucht.«
Kelsey nahm das Fohlen genauer in Augenschein. Ein schönes Tier, gewiß, aber sie konnte keinen Unterschied zu den anderen herumtollenden Fohlen erkennen. »Woran siehst du das?«
»An seinen Augen. Wir wissen es beide.«
Naomi lehnte sich an den Zaun und blickte Seite an Seite mit ihrer Tochter über die Weiden. Und für einen Moment fühlte sie sich beinahe glücklich.
Spätnachts, als das Haus in tiefer Stille lag und nur der Wind leise durch die Läden pfiff, kuschelte sich Naomi enger an Moses. Es war ihr am liebsten, wenn er zu ihr kam, irgendwie verlieh es ihr ein Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit.
Nicht daß sie ihn ungern in seinem Zimmer über den Ställen besuchte. Das erste Mal – ihr erstes Mal – war sie einfach zu ihm gegangen und hatte ihn dabei überrascht,
wie er in der Unterhose bei einem Bier saß und einige Papiere durchging.
Ihn zu verführen war nicht ganz leicht gewesen, erinnerte sie sich lächelnd, als sie mit der Hand über seinen muskulösen Brustkorb strich. Doch seine Augen hatten ihn verraten. Er begehrte sie, wie er sie seit je begehrt hatte, während sie sechzehn Jahre gebraucht hatte, um zu erkennen, daß sie ihn genauso wollte.
»Ich liebe dich, Moses.«
Wenn sie das sagte, versetzte es ihm jedesmal einen kleinen Schlag. Daran würde sich wohl auch nie etwas ändern. Er legte eine Hand auf ihre: »Ich liebe dich auch, Naomi. Sonst hättest du mich wohl kaum dazu überreden können, zu dir zu kommen, wo deine Tochter ein paar Zimmer weiter schläft.«
Lachend küßte sie seinen Hals. »Kelsey ist erwachsen. Ich bezweifle, daß sie einen Schock fürs Leben bekommt, wenn sie erfährt, daß ich mit dir ins Bett gehe.«
»Wie soll ich mit dir streiten, wenn sich alle meine Gedanken auf einen einzigen Körperteil konzentrieren?« Wie er es oft zu tun pflegte, strich er mit den Händen über ihren schlanken Körper. »Du wirst von Tag zu Tag schöner, Naomi, jedes Jahr.«
»Das kommt dir so vor, weil deine Augen älter werden.«
»Nicht wenn sie dich ansehen.«
Sie schmolz fast dahin. »Verdammt noch mal, wenn du sentimental wirst, nimmst du mir immer den Wind aus den Segeln. Ich brauche doch nur Kelsey anzusehen, um zu merken, wie sehr ich mich verändert habe. Trotzdem bin ich eitel genug, um dauernd in den Spiegel zu schauen - und jede gottverdammte Falte zu zählen.«
»Ich bin verrückt nach jeder einzelnen gottverdammten Falte.«
»Früher war mir mein Aussehen so wichtig. Schön zu sein schien mir fast eine Mission – eine heilige Verpflichtung. Dann bedeutete es mir jahrelang gar nichts, bis du kamst.«
Lächelnd beugte sie sich zu ihm und berührte leicht mit ihren Lippen seine. »Und jetzt erzählst du mir, daß du Falten magst.«
Moses schob eine Hand unter ihren Kopf und zog sie enger an sich, und sie küßten sich leidenschaftlich. Sie hob ihm die Hüften entgegen, und als er tief in sie eindrang, begann sie heiser zu stöhnen.
Von der Diele aus hörte Kelsey die gedämpften Laute des Liebesspiels, das Quietschen des alten Bettes, das Keuchen und die gemurmelten Laute. Wie angewurzelt blieb sie stehen, eine Tasse Tee in der einen, ein Buch in der anderen Hand.
Nie hatte sie ihren Vater und Candace nachts gehört. Vermutlich waren beide zu höflich und wohlerzogen, um laute Geräusche zu machen. Was jetzt hinter der verschlossenen Tür am Ende der Diele zu hören war, klang alles andere als
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