Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Bewegung auf.
»Bill Cunningham«, erklärte Naomi, der Kelseys Interesse aufgefallen war.
»Cunningham?« Kelsey durchforstete stirnrunzelnd ihr Gedächtnis. »Hat nicht der Mann, den Gabe gestern gefeuert hat, diesen Namen erwähnt?«
»Longshot hieß früher einmal Cunningham Farm. Bill hat sie geerbt, vor fünfundzwanzig Jahren, schätze ich.« Ein verächtlicher Unterton schwang in ihrer Stimme mit. »Er war auf dem besten Wege, sie herunterzuwirtschaften,
ehe er sie an Gabe verlor. Jetzt ist er an einigen Pferden beteiligt und besitzt ein oder zwei mittelmäßige Galopper. Er lebt in Maryland. Er redet gerade mit seinem Trainer, Carmine, der für Bill und noch einige andere Pferdebesitzer arbeitet. Im Moment lauscht er ergeben Bills Anweisungen und erklärt sich mit allem einverstanden. Hinterher macht er doch, was er für richtig hält, denn er weiß, daß Bill ein Mistkerl ist. Oje.« Naomi stöhnte, »er hat uns entdeckt. Ich entschuldige mich schon mal im voraus.«
»Naomi.« Flotten Schrittes kam Cunningham auf sie zumarschiert. Seine Augen glänzten, als er Naomis Hände ergriff. »Welch ein schöner Anblick an diesem düsteren Morgen.«
»Bill.« Mit den Jahren hatte Naomi gelernt, sich im Umgang mit Dummköpfen in Geduld zu fassen, so hielt sie ihm nur ihre Wange hin. »Man sieht dich nicht oft bei den Trainingsläufen.«
»Hab’ mir ’n neues Pferd zugelegt, von ’nem Versteigerungsrennen in Hialeah. Bin gerade dabei, Carmine zu erklären, wie er sie reiten soll. Bloß nicht zu sehr schonen.«
»Natürlich nicht«, lächelte Naomi süß. »Bill, das ist meine Tochter Kelsey.«
»Tochter?« Bill zeigte sich überrascht und blähte die Wangen auf. Wie jeder andere in der Umgebung auch, hatte er natürlich bereits von Kelsey erfahren. »Du meinst wohl Schwester. Nett, dich kennenzulernen, Häschen.« Er packte Kelseys Hand und schüttelte sie wild. »Willst wohl in die Fußstapfen deiner Ma treten, was?«
»Ich bin nur Zuschauerin.« .
»Nun, hier gibt’s’ne Menge zu sehen. Bei Sonnenuntergang zappelt sie am Haken«, fügte er, Naomi zuzwinkernd, hinzu. »Wenn du wetten willst, dann wende dich an mich, Kleine. Ich geb’ dir ein paar Tips.«
»Danke.«
»Für Naomis kleines Mädchen tu’ ich alles. Ich könnte ja schließlich dein Papa sein, wenn ich nicht kurz vorher gekniffen hätte.«
»Wovon träumt der bloß nachts?« brummte Naomi leise, als Bill ging, um seinem Trainer weiter auf die Nerven zu gehen. »Tut so, als wären wir ein Pärchen gewesen, dabei hat er’s nur einmal knapp geschafft, mir einen feuchten Kuß zu verpassen.«
»Einen so schlechten Geschmack hätte ich dir auch nicht zugetraut. Was zum Teufel hat er denn da von seinem Pferd erzählt?«
»Ach, das.« Naomi fing an zu lachen. »Bill spuckt immer große Töne. Denkt, er kann den Leuten weismachen, daß er Ahnung hat. Im Klartext: Die Stute hat ein Versteigerungsrennen gewonnen, Bill hat das Höchstgebot – viel zuviel vermutlich – abgegeben und will das Tier jetzt drillen. Das heißt, er will, daß sie schon im Training ihr Äußerstes gibt.« Sie schnitt hinter Bills Rücken eine Grimasse. »Er ist der Typ, der seinem Jockey für jeden Schlag mit der Gerte einen Bonus zahlt. Wenn ein Pferd nicht ins Ziel geprügelt wird, fehlt ihm etwas.«
»Ich habe mich nur gewundert, daß du so höflich zu ihm warst.«
»Das kostet mich ja nichts.« Sie zuckte die Achseln. »Und ich weiß, wie man sich als Außenseiter fühlt. Komm, Moses dürfte schon einen Reiter im Sattel haben.«
Sie kamen an einem Platz vorbei, wo die Pferde für die Trainingsritte vorbereitet wurden. Ladjockeys, so werden die Jungen genannt, die die Pferde pflegen und sie auch im Training reiten dürfen, wurden in den Sattel gehoben, der, wie Kelsey staunend bemerkte, aus kaum mehr als einem schmalen Lederstreifen bestand. Die Jungs stellten sich in den Steigbügeln auf, und die Trainer ritten neben oder hinter ihnen her zur Bahn.
»Das ist eins von unseren Pferden.« Naomi wies auf einen vorbeitrottenden Rotbraunen. »Er heißt Virginia’s Pride. Wenn dich heute das Wettfieber packt, solltest du ein paar Dollar auf ihn setzen. Er ist in Topform, und diese Bahn liegt ihm.«
»Wettest du auch?«
»Mmmh.« Naomis Blick ruhte auf Moses, der eine halbe
Länge hinter dem Rotbraunen herritt. »Ich kann nur schwer widerstehen. Komm, wir wollen sehen, wie er läuft.«
Andere Pferde befanden sich bereits auf der Bahn. Der Nebel lichtete sich, und
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