Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
die Tiere rasten vorbei. Kelsey stockte der Atem. Die mächtigen Pferde mit den sich dukkenden schmächtigen Reitern donnerten mit vorgestrecktem Hals über die Bahn, daß der Staub nur so aufwirbelte.
»Da!« Vor Aufregung versagte ihr beinahe die Stimme. »Da ist dein Pferd!«
»Ja, das ist es. Die Bahn ist heute schnell, aber ich nehme an, Moses hat den Jungen angewiesen, Pride knapp unter zwei Minuten zu halten.«
»Wie kann der Reiter das wissen?«
»Er hat sozusagen ein Uhrwerk im Kopf«, ertönte hinter ihr Gabes Stimme. Obwohl Kelsey zusammenschrak, wandte sie den Blick nicht von dem dahinjagenden Pferd. »Er macht einen guten Eindruck, Naomi.«
»Beim Derby wird er einen noch besseren machen.« Ihre Augen wurden schmal. »Der da gehört dir, nicht wahr?«
»Das ist Double or Nothing.« Gabe lehnte sich über das Pferd. »Er wird im Mai noch besser aussehen.«
Kelsey konnte sich nicht vorstellen, was die Pferde noch besser machen sollten. Sie schienen förmlich über die Bahn hinzufliegen, die Hufe wirbelnd und die Mähnen flatternd.
Stundenlang hätte sie hier stehenbleiben und den Tieren zusehen können, Runde für Runde. Zwar dauerte es nur eine oder zwei Minuten, und die Trainer standen mit ihren Stoppuhren an der Zielgeraden, doch für sie stand die Zeit still.
»Haben Sie schon einen Favoriten ausgeguckt?« wollte Gabe wissen.
»Nein.« Sie blickte ihn nicht an. Weder er noch die Erinnerung an die Geräusche, die sie in der Nacht gehört hatte, sollten ihr die Stimmung verderben. »Ich bin kein Spielertyp.«
»Dannn wollen Sie vermutlich auch nicht mit mir wetten, daß Sie am Wettschalter stehen, noch ehe der Nachmittag vorbei ist?«
Sie zuckte die Achseln, doch dann konnte sie der Versuchung nicht widerstehen. »Bill Cunningham hat sich erboten, mir ein paar Tips zu geben.«
»Cunningham?« Gabe lachte dröhnend. »Dann kann ich nur hoffen, daß Sie ein gefülltes Portemonnaie haben, meine Liebe.« Er lehnte sich gegen den Zaun und überlegte, ober er sich eine Zigarre anzünden sollte, entschied sich aber dagegen. Lieber genoß er Kelseys angenehmen Duft, diesen Duft, der einem Mann die Sinne verwirren konnte, und der auch dann noch in der Luft hing, wenn sie schon längst verschwunden war.
»Morgens ist noch die beste Zeit«, murmelte Naomi, die eine Hand über die Augen legte, denn die Sonne, die langsam die Frühnebel auflöste, blendete sie. »Da macht man reinen Tisch.«
Später gingen sie wieder zu den Stallungen zurück. Vor Anstrengung dampfende Pferde wurden abgesattelt und herumgeführt, die Beine sorgfältig nach Verletzungen untersucht. Ein Pfleger ölte seinem Schützling die Hufe ein, während ein Hufschmied mit langer Lederschürze und verbeultem Werkzeugkasten auf einem Hufeisen herumhämmerte.
»Wirkt wie gemalt, nicht wahr?« sagte Gabe, als habe er Kelseys Gedanken gelesen.
»Ja, wirklich.«
Gabe nickte in die andere Richtung, wo ein Mann mit einer Reitkappe Moses hinterherlief und auf ihn einredete.
»Wer ist das?«
»Ein Jockeyagent. Der hastet von Stall zu Stall und versucht, jeden davon zu überzeugen, daß er den nächsten Sieger vertritt.« Beiläufig strich er Naomi das Haar aus dem Gesicht. »Soll ich euch einen Kaffee besorgen?«
»Für mich gerne.«
»Was ist mit dir, Kelsey?«
»Ich mag auch einen. Darf ich mir dein Pferd genauer ansehen, während es herumgeführt wird?«
»Selbstverständlich, geh nur.«
Naomi setzte sich auf einen umgedrehten Eimer. Die morgendliche Arbeit war fast getan, jetzt hieß es warten. Darin hatte sie mittlerweile einige Übung. Außerdem bereitete es ihr Freude, ihrer Tochter zuzuschauen, die mit dem Pfleger die Runden drehte und ihm vermutlich Löcher in den Bauch fragte. Das Kind hatte schon immer voller Fragen gesteckt, so zurückhaltend wie heute war sie früher allerdings nicht gewesen.
Heute morgen, als sie zusammen im Nebel standen und den ersten Pferden bei ihren Trainingsrunden zusahen, hatte sie einen Moment lang gedacht, die Spannung zwischen ihnen würde sich lockern. Doch dann war die Reserviertheit wieder da, zwar unterschwellig, aber nicht zu leugnen.
Kelsey lachte. Es war das erste Mal, daß Naomi sie von Herzen lachen hörte.
»Sie amüsiert sich«, bemerkte Gabe, als er Naomi einen Kaffeebecher reichte.
»Es tut gut, das zu sehen. Weißt du, ich sitze hier und rede mir ein, daß unser Verhältnis bald nicht mehr so unpersönlich sein wird.« Sie trank einen Schluck vom heißen Kaffee, um ihre
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