Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Jahr hatte er keine Preisgelder mehr geholt. Seine Schulden wuchsen ihm über den Kopf, und wie viele in dieser Situation dachte er, er müsse nur einmal einen großen Treffer landen.«
»Deshalb die Pokerrunde.«
»Genau. Ich war an einem Pferd beteiligt, das ausgesprochen gut lief. Also war ich . . .«, er lächelte, ». . . flüssig. Ich hatte mir schon immer eine Farm wie diese gewünscht. Na ja, und da dachte ich, mit etwas Glück könnte ich genug gewinnen, um in ein zweites Pferd zu investieren. Mich sozusagen hocharbeiten.«
»Klingt vernünftig, je nachdem, wie man es betrachtet.« Rücksichtslos traf eher zu, dachte sie. Aber auch Rücksichtslosigkeit konnte man bewundern. »Offenbar haben Sie mehr gewonnen als nur ein Pferd.«
»Ich konnte gar nicht verlieren. Ich hatte eine Glückssträhne, in der mir alles gelang. Hatte er einen Drilling, hatte ich ein Full House, hatte er einen Straight Flush, hatte ich einen Royal Flush. Seine eigentlichen Probleme fingen erst an, als er nicht aufhören konnte. Er stand schon so mit sechzig, fünfundsechzig in der Kreide.«
»Hundertern?«
Von ihrer Naivität bezaubert nahm er ihre Hand und küßte sie leicht. »Tausendern, Schätzchen. Und er hatte das Geld nicht, bar jedenfalls nicht. Also erhöhte er den Einsatz und wollte kein Nein gelten lassen.«
»Und Sie taten natürlich Ihr Bestes, um ihn zur Vernunft zu bringen.«
»Ich sagte ihm, daß er einen Fehler macht, aber er wollte nicht hören.« Gabe zuckte mit den Achseln. »Sollte ich mich mit ihm streiten? Zu diesem Zeitpunkt waren wir nur noch vier Spieler, und wir saßen seit fünfzehn Stunden am Tisch. Das sollte die letzte Runde werden. Sie wurde mit fünftausend eröffnet, und nach oben gab es kein Limit.«
»Das waren zwanzigtausend auf dem Tisch des Hauses, ehe Sie richtig angefangen haben.«
»Und mehr als hundertfünfzigtausend, als alle außer Cunningham und mir ausgestiegen waren.«
Kelsey führte gerade die Gabel zum Mund: »Hundertfünfzigtausend?«
»Er dachte, er hätte alle Trümpfe in der Hand, und so wollte er den Einsatz hochtreiben. Ich legte noch fünfzig drauf, weil ich dachte, er würde endlich aussteigen, aber er hielt mit.«
Kelsey hob ihr Glas und trank in kleinen Schlucken. Sie sah die Szene so deutlich vor sich, als sei sie dabeigewesen. Ein kleines Vermögen, das an ein paar Karten hing.
»Das wäre dann eine Viertelmillion Dollar.«
Er grinste. »Gut gerechnet. Er tat mir zwar leid, aber ich kann nicht sagen, daß ich den Moment bedauerte, wo ich meinen Straight Flush auf den Tisch legte. Er hatte nur drei Könige und kein Geld.« Gabe schenkte ihr Champagner nach. »Gerade mal die Vermögenswerte. Also machten wir
ein Geschäft. Cunningham hat buchstäblich Haus und Hof verspielt.«
»Sie haben ihn an die Luft gesetzt?«
Gabe musterte sie mit geneigtem Kopf. »Was hätten Sie denn getan?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie nach einem Augenblick. »Aber ich glaube nicht, daß ich einen Mann aus seinem eigenen Haus vertreiben könnte.«
»Auch nicht, wenn er Geld verspielt, das er nicht hat?«
»Auch dann nicht.«
»Sie haben eben ein weiches Herz. Wir schlossen einen Handel ab«, wiederholte Gabe, »der uns beide zufriedenstellte. Und da ich auf Risiko gesetzt hatte, habe ich etwas gewonnen, was ich mir mein ganzes Leben lang gewünscht habe.«
»Das ist ja eine abenteuerliche Story. Vermutlich haben Sie den Unglücksraben Bill Cunningham auf der Rennbahn kennengelernt.«
»Nein. Ich habe einmal für ihn gearbeitet.«
»Hier?« Sie legte ihre Gabel nieder. »Sie haben hier gearbeitet?«
»Pferde gestriegelt, ausgemistet, Futter geschleppt. Drei Jahre lang war ich einer von Cunninghams Stallburschen. Damals ging es ihm ganz gut. Die Pferde haben ihn überhaupt nicht interessiert, sie sollten ihm nur Geld bringen, sie waren sein Kapital. Die Leute, die seine Tiere betreuten, interessierten ihn noch weniger. Unsere Unterkünfte ähnelten Gefängniszellen, so eng und schäbig waren sie. Aber Cunningham dachte nicht daran, sein Geld in Verbesserungen zu investieren.«
»Und deswegen hat es Sie auch nicht weiter berührt, ihn aus seinem Haus zu jagen.«
»Es hat mir jedenfalls keine schlaflosen Nächte bereitet. Als ich von hier fortging, arbeitete ich eine Zeitlang auf Three Willows. Das ist eine Farm! Der alte Chadwick hatte ein Händchen für Pferde, genau wie Ihre Mutter. Als ich diese Gegend dann endgültig verließ – damals war ich ungefähr
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