Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
ins Bett gehen wollte.«
Um Naomis Mundwinkel zuckte es, als ihr langsam klar wurde, was Kelsey meinte. »Mein Liebhaber?«
»Daß du dich so täuschen läßt«, tobte Kelsey weiter. »Du kennst ihn schon seit Jahren und müßtest mittlerweile wissen, wie er ist. Oja, er ist attraktiv und charmant – nach außen. Aber er kennt weder Skrupel noch Ehrgefühl, noch Loyalität.«
Naomis Augen blitzten, und ihr Kinn spannte sich. »Von wem redest du eigentlich?«
»Von Slater.« Fast hätte Kelsey losgebrüllt. »Gabriel Slater. Wie viele Liebhaber hast du denn?«
»Nur einen.« Naomi faltete die Hände und atmete tief
durch. »Und du glaubst, das ist Gabe?« Sie dachte einen Moment nach, fing an zu lächeln und lachte schließlich zu Kelseys Verblüffung schallend los. »Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid. Ich bin sicher, du findest das gar nicht komisch.« Hilflos hielt sie sich den Bauch. »Aber das ist ja großartig, ehrlich. Ich fühle mich sehr geschmeichelt.«
»Das hat er auch gesagt«, zischte Kelsey durch die Zähne.
»Hat er das?« Kichernd wischte sich Naomi eine Träne aus dem Augenwinkel. »Du meinst, du hast ihn tatsächlich gefragt, ob er mit mir schläft? Du lieber Himmel, Kelsey, er ist um die Dreißig. Ich bin fast fünfzig.«
»Was macht das schon für einen Unterschied?«
Sie konnte nicht an sich halten. Naomi grinste breit. »Jetzt fühle ich mich aber wirklich geschmeichelt. Glaubst du im Ernst, so ein toller Mann – und er ist ja wirklich hinreißend – wie Gabe könnte ein romantisches Interesse an mir haben?«
Kelsey musterte Naomi so unbeteiligt, wie es ihr in ihrer Aufregung möglich war; die klassischen Gesichtszüge, den schlanken, feingliedrigen Körper in dem schlichten weißen Morgenmantel. »Von einer Romanze habe ich nicht gesprochen«, sagte sie tonlos.
»Ach so.« Naomi nickte verständnisvoll. »Nun denn. Du nimmst also an, daß Gabe und ich in eine, na, sagen wir mal, wilde sexuelle Affäre verstrickt sind?« Ihre Lippen verzogen sich. »Ich fühle mich von Minute zu Minute jünger.«
»Ehe du dich bemühst, alles abzustreiten, will ich dir zwei Dinge sagen.« Hocherhobenen Hauptes blickte Kelsey ihre Mutter an. »Erstens geht es mich nichts an, mit wem du schläfst – von mir aus kannst du dir zwanzig Liebhaber halten –, zweitens habe ich dich letzte Nacht gehört. Hier im Zimmer, mit ihm.«
»Oh.« Naomi sog die Luft ein. »Das ist mir aber peinlich.«
»Peinlich?« Das Wort klang wie eine Explosion. »Es ist dir peinlich ?«
Naomi, der klar wurde, daß sie sich etwas deutlicher ausdrücken mußte, hob eine Hand. »Nun mal der Reihe nach. Erstens habe ich im Gegensatz zu allem, was du denken oder gehört haben magst, nicht mit den Männern geschlafen, die man mir andichtet. Du wirst es nicht glauben, aber dein Vater war mein erster Mann. Und danach gab es niemanden mehr, erst zwei Jahre, nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen worden war, fand ich wieder einen Mann, und er ist bis heute mein einziger.« Sie erhob sich, so daß sie ihrer Tochter in die Augen sehen konnte.
»Wenn das stimmt, ist es um so schlimmer. Stört es dich gar nicht, daß er dich so hintergeht?«
»Kein Mann betrügt mich mehr als einmal«, sagte Naomi so bestimmt, daß Kelsey ihr nicht nur glaubte, sondern sie auch verstehen konnte. »Es war nicht Gabe, den du letzte Nacht hier gehört hast, es war Moses.«
Kelsey verschlug es die Sprache, und sie ließ sich in einen Sessel sinken. »Moses, dein Trainer.«
»Ja, Moses, mein Trainer, mein Freund und mein Liebhaber.«
»Aber Gabe – er berührt dich doch ständig.«
»Auf das Risiko hin, daß ich mich jetzt eines Klischees bediene – wir sind sehr gute Freunde. Neben Moses ist Gabe mein bester Freund. Es tut mir leid, daß du das so mißverstanden hast.«
»Ach du lieber Gott!« Kelsey schloß die Augen und fühlte sich gedemütigt, als ihr alles, was sie Gabe an den Kopf geworfen hatte, wieder zu Bewußtsein kam. »Kein Wunder, daß er so wütend war. Was ich ihm alles gesagt habe!«
Gefaßt darauf, zurückgewiesen zu werden, strich Naomi Kelsey übers Haar. »Vermutlich hast du dir nicht die Mühe gemacht, ihn einfach danach zu fragen.«
»Nein.« Ihre Worte schienen wie ein Bumerang auf sie zu prallen. »Nein, ich war mir so sicher, und dann habe ich mich furchtbar geschämt, daß er mich dazu gebracht hatte, mich derart zu vergessen, und sei es auch nur für eine Minute. Ich habe noch nie . . . mit Wade war es
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