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Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Titel: Schatten über den Weiden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Kelsey einen Besuch zu ermöglichen, ihn bitten, sein Kind an diesen Ort mitzubringen, lastete wie ein Alpdruck auf ihm.
    Es war ihr gutes Recht. Tief in seinem Inneren wußte er, daß sie ein Recht darauf hatte, ihr Kind zu sehen. Aber er wußte auch, daß er bis zum letzten Atemzug darum kämpfen würde, Kelsey diese traumatische Erfahrung zu ersparen.
    »Wie geht es ihr?«
    »Gut. Sie verbringt ein paar Tage bei meiner Mutter, damit ich diese . . . diese Reise machen konnte.«
    »Ich bin sicher, Milicent ist entzückt, sie bei sich zu haben.« Sarkasmus schlich sich in Naomis Stimme, obwohl der Kummer sie zu überwältigen drohte. Entschlossen, das zu Ende zu führen, was sie begonnen hatte, fuhr sie fort: »Ich nehme an, du hast ihr noch nicht erklärt, wo ich bin?«
    »Nein, ich dachte . . . nein. Sie glaubt, daß du jemanden besuchst, der sehr weit entfernt lebt.«
    »Nun ja.« Der Abglanz eines Lächelns zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Ich bin ja auch sehr weit weg, nicht wahr?«
    »Naomi, sie ist doch noch ein Kind.« Zugegeben, es war unfair, doch er würde ihre Liebe zu Kelsey ausnutzen. »Ich wußte nicht, wie ich es ihr sagen sollte. Ich hoffe, daß ich nach einiger Zeit . . .«
    »Ich mache dir keinen Vorwurf«, unterbrach Naomi und beugte sich vor. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. »Ich mache dir keinen Vorwurf«, wiederholte sie. »Nichts von alldem ist deine Schuld. Was ist nur mit uns geschehen, Philip? Ich weiß nicht, wo alles angefangen hat. Ich dachte, wenn ich einen bestimmten Zeitpunkt, ein bestimmtes Ereignis zugrunde legen könnte, fiele es mir leichter, die Folgen zu akzeptieren. Aber das kann ich nicht.« Gequält schloß sie die Augen und wartete, bis sie sich so weit gefaßt hatte, um normal weitersprechen zu können. »Ich weiß nicht, was ich alles falsch gemacht habe, aber ich weiß, was richtig war. Besonders was Kelsey betrifft. Ich muß ständig an sie denken.«
    Ein tiefes Mitleid mit ihr überkam ihn und stimmte ihn milde. »Sie fragt dauernd nach dir.«
    Naomis Blick wanderte durch das Besuchszimmer. Ganz in der Nähe hörte sie jemanden verzweifelt schluchzen. Aber Tränen waren an diesem Ort nichts Besonderes. Sie starrte auf die Wände, die Wächter, die Schlösser. Besonders auf die Schlösser.
    »Ich möchte nicht, daß sie erfährt, wo ich bin.«
    Das hätte er zu allerletzt von ihr erwartet. Vollkommen aus dem Konzept geraten wußte er nicht, ob er dankbar sein oder protestieren sollte. »Naomi . . .«
    »Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, Philip. Zeit genug dazu hatte ich ja. Ich will nicht, daß sie erfährt, daß man mir alles genommen und mich in einen Käfig gesperrt hat.« Sie holte tief Atem. »Der Skandal wird bald abebben. Schließlich habe ich mich seit fast einem Jahr nicht mehr in deinen Kreisen bewegt. Das Gedächtnis der Leute ist kurz.
Ich zweifle daran, daß mehr als ein vages Gerücht, wenn überhaupt, im Umlauf sein wird, wenn Kelsey zur Schule kommt. Und Virginia ist weit weg.«
    »Das mag ja alles zutreffen, aber das löst nicht das augenblickliche Problem. Wie soll ich ihr erklären, daß du nicht mehr zurückkommst? Sie wird meine Ausreden nicht mehr lange hinnehmen, Naomi. Sie liebt dich.«
    »Sag ihr, ich sei tot.«
    »Um Gottes willen, Naomi, das kann ich nicht tun!«
    »Du kannst.« Beschwörend preßte sie eine Hand gegen die Trennscheibe. »Um Kelseys willen mußt du es. Hör mir zu. Willst du, daß sie ihre Mutter an einem Ort wie diesem sieht? Wegen Mordes verurteilt?«
    »Natürlich nicht. In ihrem Alter kann sie das noch gar nicht verstehen, geschweige denn verarbeiten. Aber . . .«
    »Genau: Aber«, stimmte Naomi zu. Ihre Augen waren wieder zum Leben erwacht und glühten vor leidenschaftlicher Willenskraft. »In einigen Jahren wird sie es verstehen – und damit leben müssen. Wenn ich etwas für sie tun kann, Philip, dann kann ich ihr das ersparen. Denk doch mal nach«, beharrte sie. »Denk nach. Wenn ich hier herauskomme, ist sie ungefähr achtzehn. Die ganzen Jahre würde sie die Vorstellung begleiten, daß ihre Mutter eingesperrt ist. Vielleicht würde sie sich verpflichtet fühlen, mich zu besuchen. Ich will sie hier nicht haben!« Der mühsam aufrechterhaltene Panzer der Selbstbeherrschung fiel von ihr ab, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß sie mich so sieht. Welche Auswirkungen würde das auf sie haben? Welchen Schaden könnte sie nehmen? Ich werde es nicht zulassen,

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