Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
der Tasche. »Nur für ein paar Tage.«
»Hier nicht. Für dich ist in diesem Haus kein Platz!«
»Um Himmels willen!« Rich nahm gierig einen Schluck, dann noch einen. »Ich sag’s, wie es ist, ich bin in Schwierigkeiten. Kleines Mißverständnis bei einem Spiel in Chicago. Ich hab’ mit ’nem Typen zusammengearbeitet, und der hat Mist gebaut.«
»Du bist also beim Falschspielen erwischt worden, und jetzt sind sie hinter dir her und wollen dir das Hirn wegpusten.«
»Du bist ein eiskalter Hurensohn«, sagte Rich und nahm einen großen Schluck aus seinem Flachmann. »Du schuldest mir noch was, daß du’s nur nicht vergißt. Ich muß ein paar Wochen untertauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
»Aber nicht bei mir.«
»Du wirfst mich raus? Läßt zu, daß man deinen Vater umbringt?«
»Nun übertreib nicht. Kalt lächelnd musterte Gabe seinen Vater. »Aber ich gebe dir eine reelle Chance. Ich denke, daß Fünftausend genügen.«
Rich sah sich um, registrierte die in Ordnung gehaltenen Gebäude, die gepflegten Pferde. Er war nie zu betrunken, um nicht einen Vorteil für sich herauszuschinden. »Das reicht nicht.«
»Es muß reichen. Halt dich vom Haus und meinen Pferden fern. Ich schreibe dir einen Scheck aus.«
Als Gabe sich entfernte, setzte Rich erneut den Flachman an. Das reicht bei weitem nicht, dachte er, und der Whisky schmeckte ihm bitter. Der Junge hatte sein Glück gemacht, und er wollte auch seinen Anteil abhaben.
Und den würde er auch bekommen, schwor sich Rich. Er hatte den Jungen zu sanft angefaßt. Jetzt würde er die Spielregeln diktieren.
8
Er wußte, daß er sich wie ein Narr benahm. Dennoch schaute Philip ständig auf die Uhr, während er seinen Weißwein trank. Kelsey war nicht zu spät dran, er war zu früh.
Es war verrückt zu glauben, sie könne sich in den zwei Wochen, die sie nun schon fort war, irgendwie verändert haben. Ihn jetzt mit anderen Augen betrachten. Oder ihn für einen Schwächling halten – ein Vorwurf, den er sich selbst machte, seit er tatenlos zugeschaut hatte, wie man die Frau, die er einmal geliebt hatte, ins Gefängnis steckte.
Aber er hatte nichts dagegen unternehmen können. Doch sooft er sich das auch einredete, es half ihm nicht. Das seit Jahren an ihm nagende Schuldgefühl konnte er nur dadurch etwas mildern, daß er seiner Tochter besonders viel Liebe gab.
Sogar heute noch, nach zwei Jahrzehnten, sah er Naomis Gesicht klar und deutlich vor sich; so, wie sie ausgesehen hatte, als er sie zum letztenmal besuchte.
Von Washington nach Alderson in West-Virginia zu gelangen hieß, eine sechsstündige Autofahrt in Kauf zu nehmen. Sechs Stunden Fahrt trennten die geordnete, zivilisierte Welt der Universität von der trostlosen, grauen Realität einer staatlichen Vollzugsanstalt. Beides eine in sich geschlossene Welt, doch die eine wurde von Hoffnung und Zuversicht bestimmt, die andere von Zorn und Verzweiflung.
Obwohl er meinte, auf alles gefaßt zu sein, traf es ihn wie ein Schlag, Naomi, seine lebenssprühende, vitale Naomi hinter der Trennscheibe zu sehen. Die vergangenen Monate hatten ihren Tribut gefordert. Ihr Körper hatte die frauliche Weichheit verloren, und sie wirkte in der formlosen Gefängniskleidung hager und eckig. Alles an ihr schien grau – ihre Kleider, ihre Augen, ihr Gesicht.
Es hatte ihn seine ganze Kraft gekostet, ihrem ruhigen, unbewegten Blick nicht auszuweichen.
»Naomi.« In Anzug und Krawatte, mit dem gestärkten weißen Kragen kam er sich fehl am Platze vor. »Ich war überrascht, daß du mich sehen wolltest.«
»Ich mußte dich sprechen. Wünsche zählen hier nichts, das gehört zu den ersten Dingen, die man im Gefängnis lernt.« Sie hatte erst drei Wochen von ihrer Strafe abgesessen und bereits aufgehört, die Tage abzuhaken – um nicht den Verstand zu verlieren. »Ich danke dir für deinen Besuch, Philip. Mir ist klar, daß du im Moment mit einigen Problemen zu kämpfen hast, aber ich hoffe, deine Position an der Universität ist nicht gefährdet.«
»Nein.« Seine Stimme klang flach. »Vermutlich werden deine Anwälte Berufung einlegen.«
»Ich habe nicht allzuviel Hoffnung.« Naomi verschränkte ihre unruhigen Hände ineinander. Hoffnung war die größte Bedrohung für ihren Geisteszustand, so hatte sie sich angewöhnt, nur noch mit dem Schlimmsten zu rechnen. »Ich habe dich hierhergebeten, Philip, um mit dir über Kelsey zu reden.«
Er entgegnete nichts darauf. Die Angst, sie könne ihn bitten,
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