Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Sie findet, daß Victoria – so heißt die junge Dame – überhaupt nicht zu ihm paßt.«
»Na ja.« Kelsey öffnete die Speisekarte und überflog sie. »Ihrer Meinung nach ist niemand gut genug für Channing. Er ist und bleibt ihr kleiner Junge.«
»Für Eltern ist es immer furchtbar schwer, die Kinder loszulassen. Deswegen wollen so viele auch nicht wahrhaben, wenn die Kinder flügge werden.« Er legte eine Hand über ihre. »Ich habe dich vermißt.«
»Ich bin doch nicht für immer fortgegangen. Wirklich, ich wünschte, du würdest dir nicht immer solche Sorgen machen.«
»Eine alte Gewohnheit, Kelsey . . .« Er verstärkte den Griff um ihre Hand. »Ich habe dich aus mehreren Gründen gebeten, mit mir zu essen. Einmal weil ich dachte, daß du einige Neuigkeiten von mir erfahren solltest.«
Kelsey erstarrte. »Du hast gesagt, es sei alles in Ordnung.«
»Stimmt ja auch. Es geht um Wade. Er hat sich verlobt.« Philip fühlte, wie Kelseys Hand kalt wurde. »Die Hochzeit soll offenbar im kleinen Kreis stattfinden, in ein oder zwei Monaten.«
»Verstehe.« Seltsam, dachte sie, daß diese Neuigkeit sie noch berührte. »Das ging ja schnell.« Scharf stieß sie den Atem aus und ärgerte sich über ihren scharfen Tonfall. »Dumm von mir, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.«
»Nur menschlich, würde ich sagen. Die Scheidung ist gerade erst rechtskräftig geworden, egal wie lange ihr schon getrennt lebt.«
»Das Scheidungsurteil ist bloß ein Stück Papier. Die Ehe endete vor über zwei Jahren in Atlanta.« Kelsey hob ihr
Glas und betrachtete nachdenklich die tanzenden Bläschen. »Ich hatte ja vor, mich als guter Verlierer zu zeigen und ihm Glück zu wünschen. Das kommt jetzt nicht mehr in Frage.« Sie nahm einen tiefen Schluck. »Ich hoffe, sie macht ihm das Leben zur Hölle. Aber jetzt bestelle ich mir erst einmal das Pfeffersteak, ich brauche etwas Herzhaftes.«
»Alles in Ordnung?«
»Mir geht es blendend.« Sie klappte die Speisekarte zu, gab ihre Bestellung auf und lächelte ihren Vater an. »Hattest du Angst, ich würde einen hysterischen Anfall kriegen?«
»Ich dachte, du brauchtest vielleicht eine Schulter zum Ausweinen.«
»Ich bin dir für deine Tröstungen immer dankbar, Dad, aber warum sollte ich wegen einer längst abgeschlossenen Sache Tränen vergießen? Vielleicht ändert sich meine Weltanschauung, wenn ich für meinen Lebensunterhalt einmal richtig arbeiten muß.«
»Kelsey, du arbeitest doch schon seit Jahren. Seitdem du die High-School abgeschlossen hast.«
»Ich habe einen Job nach dem anderen angenommen, und keiner hat mich richtig ausgefüllt.«
»Und das, was du jetzt machst? Ist Ställe ausmisten für dich die Erfüllung?«
Die Kälte in seiner Stimme warnte sie, und sie wählte ihre nächsten Worte sehr vorsichtig. »Ich fühle, daß ich dazugehöre. Es geht ja nicht nur um ein Rennen oder ein Pferd, sondern um das Ganze. Auf einem Gestüt hängt alles zusammen, jeder hat seinen festen Platz, jeder ist ein Rädchen im Getriebe. Manches ist langweilig, manches hektisch, und alles wiederholt sich ständig. Doch für mich ist es jeden Morgen neu. Ich kann es dir nicht erklären.«
Und er würde es nie verstehen. Im Moment wußte er nur, daß sie redete wie Naomi. »Es ist sicher aufregend für dich. Mal etwas anderes.«
»Ja, aber auch irgendwie beruhigend. Und ich fühle mich gefordert.« Bring’s hinter dich, dachte sie und fuhr
rasch fort: »Ich denke daran, mein Apartment aufzugeben.«
»Aufgeben? Und dann? Willst du für immer nach Three Willows ziehen?«
»Nicht unbedingt.« Warum kränkte ihn diese Vorstellung bloß, fragte sie sich, dann seufzte sie. Genausogut konnte sie sich fragen, warum sie die Nachricht von Wades Wiederverheiratung gekränkt hatte. »Darüber ist noch nicht gesprochen worden, aber ich habe darüber nachgedacht, aufs Land zu ziehen. Ich sehe von meinem Fenster aus lieber Bäume und Felder statt eine Betonwüste, Dad. Und das, was ich im Augenblick tu’, macht mir Spaß. Ich möchte dabeibleiben, sehen, ob ich etwas leisten kann.«
»Naomis Einfluß. Kelsey, laß dich nicht von ihr dazu verleiten, von einem Extrem ins andere zu fallen. Nach so kurzer Zeit kannst du gar nicht beurteilen, in was für eine Welt du hineingeraten bist.«
»Ich verstehe diese Welt ja auch noch nicht voll und ganz. Aber ich möchte es lernen.« Sie schwieg, da ihr Salat serviert wurde. »Und ich will lernen, sie zu verstehen. Du kannst nicht von mir
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