Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
verlangen, daß ich vorher fortgehe.«
»Ich verlange nicht von dir, daß du fortgehst, sondern ich bitte dich nur, dich nicht Hals über Kopf in etwas zu stürzen, was du noch nicht überblicken kannst. Diese Welt bedeutet nicht nur Ausritte im Morgengrauen oder Endspurt über die Zielgerade, sondern auch Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit. Und Gewalt.«
»Und all das macht die eine Hälfte meiner Person aus, genau wie der Geruch von Büchern in der Universitätsbibliothek die andere.«
»Wen haben wir denn da? Naomis hübsches Töchterchen!« Bill Cunningham schlenderte auf sie zu, einen Drink in der Hand, an der anderen blitzte das diamantene Hufeisen. »Dieses Gesicht kann man nicht übersehen.«
Perfektes Timing, fluchte Kelsey im stillen und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Hallo, Bill. Dad, das ist Bill Cunningham, ein Bekannter von Naomi. Bill, mein Vater Philip Byden.«
»Da soll mich doch der Teufel holen! Wieviel Jahre ist das jetzt her?« Bill streckte eine Hand aus. »Schätze, ich hab’ Sie seit dem Tag, an dem Sie mir Naomi unter der Nase weggeschnappt hatten, nicht mehr zu Gesicht gekriegt. Lehrer waren Sie doch oder so was Ähnliches.«
»Richtig.« Philip nickte ihm mit der Herablassung zu, mit der er normalerweise Studenten behandelte, wenn sie schlechte Leistungen brachten. »Professor an der Universität von Georgetown.«
»Hört, hört.« Grinsend legte Bill Kelsey eine Hand auf die Schulter und drückte sie vertraulich. »’ne richtige kleine Schönheit haben Sie da, Phil. Die reinste Augenweide auf der Rennbahn. Hab’ mir sagen lassen, daß der Dreijährige Ihrer Ma heute in Santa Anita alle anderen abgehängt hat.«
»Stimmt. Wir sind sehr zufrieden.«
»In Kentucky wird die Sache anders aussehen. Lassen Sie sich ja nicht von ihr überreden, Ihren Gehaltsscheck auf den Gaul von Three Willows zu setzen, Phil. Ich stelle nämlich den Sieger. Geben Sie Ihrer Mama einen Kuß von mir, Süße. Ich muß zurück an die Bar, bin verabredet.«
Als Bill gegangen war, nahm Kelsey ihre Gabel und begann, ihren Salat zu essen.
»Und mit dieser Art von Leuten willst du Umgang haben?«
»Dad, jetzt klingst du genau wie Großmutter, ›Kelsey, diese Menschen sind unter deinem Niveau.‹« Aber Philip lächelte nicht. »Dad, der Mann ist ein Idiot. Erinnert mich an die aufgeblasenen Angeber, die mir an der Universität, in der Werbeagentur und in der Galerie über den Weg gelaufen sind. Es gibt sie überall.«
»Ich erinnere mich an ihn«, erwiderte Philip steif. »Es gab Gerüchte, daß er Jockeys bestochen haben soll, damit sie verlieren oder absichtlich ein anderes Pferd abdrängen.«
Stirnrunzelnd schob Kelsey den Salat beiseite. »Also ist er nicht nur ein aufgeblasener Angeber, sondern auch noch ein Möchtegernganove. Trotzdem ist und bleibt er
ein Idiot, und ich beabsichtige nicht, mich mit ihm mehr abzugeben als unbedingt nötig.«
»Er bewegt sich in den selben Kreisen wie deine Mutter.«
»Vielleicht, wenn du die Rennbahn meinst. Ich weiß zwar noch nicht viel über sie und vertraue ihr auch noch nicht blindlings, aber eines weiß ich, daß Three Willows für sie mehr ist als nur eine Farm und die Pferde nicht nur eine Kapitalanlage. Es ist ihr Leben.«
»Das war schon immer so.«
»Entschuldige.« In einer hilflosen Geste nahm Kelsey die Hand ihres Vaters. »Es tut mir leid, daß sie dich verletzt hat, und es tut mir auch leid, daß jetzt durch mich alles wieder aufgewühlt wird. Ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen. Ich muß meine eigenen Entscheidungen treffen. Dad, ich brauche ein Ziel im Leben, und vielleicht habe ich es jetzt gefunden.«
Genau das war auch seine Befürchtung. Und vielleicht würde er sie, wenn sie ihr Ziel erreicht hatte, nicht mehr wiedererkennen. »Versprich mir, daß du nichts überstürzt, Kelsey. Nimm dir viel Zeit, bevor du grundlegende Entscheidungen triffst.«
»Ich nehme mir deinen Rat zu Herzen.« Und zögernd sagte sie: »Du hast noch nicht nach ihr gefragt.«
»Ich wollte mich langsam herantasten«, gestand Philip. »Ich möchte eigentlich deine Eindrücke hören.«
»Sie wirkt unwahrscheinlich jung und strotzt vor Energie. Ich habe gesehen, wie sie im Morgengrauen aufsteht und bis spät in die Nacht auf den Beinen ist.«
»Naomi war schon immer eine Gesellschaftslöwin.«
»Ich rede von Arbeit«, korrigierte Kelsey. »Sie hat keinerlei gesellschaftliche Verpflichtungen wahrgenommen, zumindest nicht, seitdem ich da bin.
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