Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wie man nach dieser täglichen Knochenarbeit noch Lust haben könnte, auf eine Party zu gehen. Normalerweise ist sie vor zehn im Bett.« Wohlweislich verschwieg sie, daß Naomi nicht immer allein schlief. »Sie ist sehr beherrscht und zurückhaltend.«
»Naomi beherrscht? Zurückhaltend?«
»Ja.« Kelsey brach ab und wartete, bis die Vorspeisen serviert wurden. »Ich nehme an, sie war nicht immer so, aber ich kann es nicht anders beschreiben.«
»Wie stehst du zu ihr?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich bin dankbar, daß sie nichts erzwingen will.«
»Das klingt gar nicht nach Naomi. Geduld war nie ihre Stärke.«
»Ich denke, Menschen können sich ändern, Dad. Ich verstehe sie zwar nicht, aber ich bewundere sie. Sie weiß, was sie will, und sie arbeitet dafür.«
»Und was will sie?«
»Da bin ich mir nicht sicher«, bekannte Kelsey. »Aber sie weiß es.«
Cunningham saß an der schummrigen Bar und beobachtete Kelsey und ihren Vater aus sicherer Entfernung. Hübsches Bild, dachte er. Das Mädchen hatte Klasse. Er ließ die Eiswürfel in seinem Bourbon leise klirren.
»Gutaussehendes Mädchen«, tönte Rich Slater neben ihm. »Kommt mir irgendwie bekannt vor.« Lachend nahm er seinen Drink. »Vermutlich sehen für einen Mann ab einem gewissen Alter alle hübschen jungen Mädchen gleich aus.«
»Das ist Naomis Chadwicks Tochter. Ihr gottverdammtes Ebenbild.«
»Naomi Chadwick.« In Richs Augen leuchtete boshafte Freude, vermischt mit bitteren Erinnerungen. Er war nicht zuletzt hier, um mit seinen Erinnerungen aufzuräumen, aber auch von ihnen ’zu profitieren. »So ein tolles Mädchen vergißt man nicht. Ist jetzt Nachbarin meines Sohnes. Die Welt ist klein.« Genüßlich schlüfte er seinen Whisky. Erste Qualität – und Cunningham bezahlte ihn. »Du, Bill, ich meine, ich hätte die Kleine vor einigen Wochen auf der Farm meines Jungen gesehen. Der war scharf auf sie, wie ich Gabe kenne.«
»Er hat mit der Mutter rumgeturtelt. Vermutlich will er
jetzt die Tochter ausprobieren.« Und Cunningham dachte, daß Gabe Slater nie die Gelegenheit bekommen hätte, auch nur mit einer von beiden anzubändeln, wenn er nicht solches Glück beim Kartenspiel gehabt hätte. Dann sähen die Dinge jetzt anders aus.
Doch die Dinge würden bald wieder ganz anders aussehen.
»Wenn er seine Trümpfe richtig ausspielt«, fuhr Cunningham fort, »dann gibt’s bald keine Grenze mehr zwischen den beiden Farmen.«
Rich beobachtete Kelsey mit wachsendem Interesse. Also hatte sein Sohn ein Auge auf die Tochter dieser eiskalten Chadwick-Hexe geworfen. Das könnte ihm vielleicht sogar noch nützlich sein. »Wär ja ’n tolles Ding. Das wäre dann das beste Gestüt in der Umgebung, so wie ich das sehe.«
»Könnte sein.« Cunningham bedeutete der Kellnerin, eine weitere Runde zu bringen. »Wär vielleicht nicht schlecht, wenn da einer zwischenfunken würde.« Er langte nach den Nüssen, die vor ihm standen, und stopfte sich eine Handvoll in den Mund. Vorsichtig mahnte er sich, halt dich zurück. Es war besser, wenn Rich Slater nicht erfuhr, wie sehr er auf diesen Deal zählte. »Jetzt zum Geschäft. Wie kann man die Sache angehen?«
Rich, der bereits berechnete, was er herausschinden konnte, bewunderte nebenbei den Diamantring an Cunninghams Finger. »Wie steht’s: Wäre dir dieser zusätzliche Pluspunkt denn eine angemessene Prämie wert?«
»Allerdings.«
»Mal sehen, was sich da machen läßt.« Wieder warf er Kelsey einen Blick zu. »Mal sehen, was sich machen läßt. Aber ich werde einen Spesenvorschuß brauchen, Billy.«
Cunningham holte aus der Innentasche seiner Jacke einen Umschlag und ließ ihn unter der Bar in Richs gierig zupackenden Hände gleiten. Der Gedanke an eine ähnliche Situation, die er früher erlebt hatte, veranlaßte ihn, mißtrauisch über die Schulter zu schauen. »Du kannst später nachzählen.«
»Nicht doch, nicht doch. Wir sind alte Freunde, Billy. Ich vertrau dir.« Sowie der Umschlag sicher verstaut war, hob Rich erneut sein Glas. »Wenn ich es so ausdrücken darf: Es ist eine Freude, wieder mit dir Geschäfte zu machen. Auf die alten Zeiten!«
Gegen Mittag des nächsten Tages konzentrierte sich Kelsey auf ihre Unterrichtsstunde mit der Longe. Die fünfjährige Stute war ein geduldiges Tier, das von dieser Prozedur bedeutend mehr verstand als Kelsey.
Es war ja auch nicht das Pferd, das ausgebildet werden sollte.
»Antraben lassen,
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