Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Hause.«
»Ich werde auf Boggs warten. Er sollte jetzt nicht allein sein.«
»Moses kümmert sich um ihn. Ich will dich hier wegbringen, Kelsey.«
»Ich kann nicht. Das Ganze betrifft mich genauso wie dich.«
»Da irrst du dich.« Er zerrte sie fast über den schlammigen Boden. »Die Box gehört mir, das Pferd gehört mir, und verdammt noch mal, Mick ist einer meiner Leute.«
»Jetzt mal langsam.« Kelsey packte ihn an der Jacke. Obwohl er sich im Stall kühl und gelassen gegeben hatte, stand er jetzt kurz vor der Explosion. Kein Pokerface mehr, dachte sie. Seine Augen glühten vor Wut.
»Du hältst dich da raus und machst, daß du wegkommst!«
Sie hätte sich auf eine hitzige Debatte einlassen und seinen eisernen Griff abschütteln können, aber sie wartete, bis sie sein Auto erreicht hatten.
Dann drehte sie sich einfach um und schlang die Arme um ihn. »Tu’ dir das nicht an«, murmelte sie.
Er machte sich steif und wollte sie ins Auto drängen. »Was soll ich mir nicht antun?« fragte er.
»Dir Vorwürfe machen, Gabe.«
»Wem denn sonst?« Sein Körper entspannte sich, er drückte sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. »Wem soll ich denn sonst Vorwürfe machen, Kelsey? Er hat versucht, mein Pferd zu beschützen.«
»Das kannst du gar nicht wissen.«
»Ich fühle es.« Er schob sie von sich. Zwar blickten seine Augen nun ruhiger, aber das, was sich hinter diesem kühlen, tiefen Blau verbarg, ließ Kelsey erschauern. »Und ich werde herausfinden, wer dafür verantwortlich ist, koste es, was es wolle.«
»Die Polizei . . .«
». . . hat ihre Methoden. Ich habe meine.«
10
Selbst der Tod konnte die tägliche Routine auf einem Gestüt nicht erschüttern, egal, ob es der Tod eines Pferdes oder eines Menschen war. Morgendämmerung hieß Beginn des Trainings, die Pferde mußten versorgt, die Ställe gesäubert werden. Obwohl man sich auf den Koppeln und in den Ställen über den grausamen Tod des alten Mick unterhielt, blieb der Tagesrhythmus wie immer.
Man mußte sich um ein Fohlen mit einem bösen Ekzem kümmern, ein Jährling duldete immer noch keinen Reiter im Sattel, und eine hoffnungsvolle Jungstute sollte erstmals bei einem Rennen starten. So trauerte man um Mick und tauschte seine Vermutungen aus, während Futterkrippen aufgefüllt und Pferde warm gemacht wurden.
»Möchten Sie Pride nicht lieber selbst die Stallbandagen umlegen? Die Beine hab’ ich ihm schon abgespritzt.« Boggs’ Gesicht war ausdruckslos, und unter seinen Augen lagen tiefe Ringe, doch er ging wie jeden Tag seinen Pflichten nach. Er hielt Kelsey die Zügel hin. »Es scheint ihm lieber zu sein, wenn Sie das tun.«
»Gut, Boggs.« Ihre weiche Hand legte sich über seine, die voller Schwielen war. »Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
Seine Augen hefteten sich auf einen Punkt im Nichts, irgendwo hinter ihr. »Kann man nichts machen, Miß Kelsey. Ist nur nicht richtig, find ich. Ist einfach nicht richtig.«
Was sollte sie darauf entgegnen? Keinesfalls wollte sie den alten Mann mit seinem Kummer allein lassen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zu begleiten? Ich bin immer noch ein wenig nervös, wenn ich den nächsten Derbysieger betreuen muß.«
Beide wußten, daß dies eine fadenscheinige Ausrede war, doch Boggs nickte und trottete bereitwillig neben ihr her. Es hatte wieder angefangen zu regnen, derselbe unaufhörliche
feine Nieselregen, der schon den vorhergegangenen Nachmittag verdorben hatte. Obwohl es schon auf zehn Uhr zuging, hing der Nebel noch dick über der Landschaft. Drinnen waren die Stallburschen eifrig dabei, die Boxen auszumisten, und die Luft roch nach Mist, Heu und Schlamm.
An Queenies Box blieb Kelsey stehen und drückte Boggs die Zügel in die Hand. »Dauert nur eine Minute.«
Sie zog eine Möhre aus der Gesäßtasche und hielt sie der Stute hin, während sie ihr die weichen Ohren kraulte. »Na, altes Mädchen? Hast wohl gedacht, ich hätte dich vergessen, was?« Die Stute knabberte die Möhre und dann an Kelseys Schulter, wobei sie behaglich schnaubte. Obwohl ihr Boggs’ Interesse nicht entgangen war, schloß sie das tägliche Ritual mit einem Kuß auf Queenies Kopf ab.
»Ich weiß, ich weiß. Man hat mich schon oft mit der typisch weiblichen Pferdevernarrtheit aufgezogen.« Nach einem letzten Klaps wandte sich Kelsey wieder zu Boggs und Pride um. »Vielleicht übertreibe ich ja ein bißchen, aber ich habe schon mehr als einen der Männer hier auch dabei erwischt, wie sie ein
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